Diskriminierung im Gesundheitswesen – Welche Möglichkeiten bietet das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Regenschirm mit dem Schriftzug "no stigma" auf einer Demonstration
© DAH | Bild: Renata Chueire

Ausgerechnet in Arztpraxen und Krankenhäusern erleben Menschen mit HIV immer wieder Stigmatisierung und Benachteiligungen – sei es, indem ihnen oftmals nur die letzten Sprechstundentermine angeboten oder Behandlungen gänzlich verwehrt werden. Solche Diskriminierungen verstoßen jedoch mitunter gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Welche Rechte haben Betroffene in solchen Fällen und welche Möglichkeiten gibt es, dagegen vorzugehen? Ein Überblick und Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Durch die medizinischen Möglichkeiten können Menschen mit HIV heute weitgehend ohne Einschränkungen leben. Doch leider hinkt ein Teil der Gesellschaft diesen Fortschritt hinterher. Bei der 2020 durchgeführten Online-Umfrage des Forschungsprojekts positive stimmen 2.0 gaben mehr als die Hälfte der Teilnehmer*innen an, durch Vorurteile gegenüber HIV in ihrem Leben beeinträchtigt zu sein. 56 % hatten innerhalb des zurückliegenden Jahres mindestens einmal diskriminierende Erfahrung im Gesundheitswesen machen müssen.

Welche Formen von Diskriminierungen erleben Menschen mit HIV im Gesundheitswesen?

Immer wieder kommt es vor, dass Ärzt*innen es ablehnen, Menschen mit HIV zu behandeln, wenn sie ihre HIV-Infektionen offen legen, oder sie führen Untersuchungen nicht mehr durch, wenn sie später davon erfahren. Kerstin Mörsch von der DAH-Kontaktstelle zur HIV-bezogenen Diskriminierung  hat im Rahmen ihrer Beratungstätigkeit immer wieder mit solchen Fällen zu tun. „Beispielsweise wurde eine Akupunkturbehandlung abgelehnt, nachdem der Arzt von der HIV-Infektion einer Patientin erfahren hatte. Seine Begründung: Durch die Nadeln könnte sich das Personal und andere Mitpatient*innen infizieren“, berichtet Kerstin Mörsch.

Oder von Zahnärzt*innen werden lediglich Termine am Ende der Sprechstunden angeboten wird, mit der Begründung, dass danach der Behandlungsraum besonders desinfiziert werden müsse. Dabei sind die standardmäßigen Hygienemaßnahmen ausreichend. (Link: https://t1p.de/leqp) Zudem besteht bei Menschen mit HIV unter Therapie kein Infektionsrisiko, da aufgrund der HIV-Behandlung die Viruslast oft längst unter der Nachweisgrenze liegt. Mögen derlei Ungleichbehandlungen häufig der Unwissenheit des Personals geschuldet oder durch Ängste bedingt sein – verletzend und diskriminierend sind sie dennoch. Für die betroffenen Patient*innen bedeutet das mangelnde Fachwissen, bisweilen aber auch die Ignoranz oder die wissentliche oder unwissentliche diskriminierende Abwehrhaltung eine oftmals zutiefst schmerzhafte Erfahrung. Zudem geraten sie in den Praxisräumen bisweilen in die Situation, ihren HIV-Status womöglich in Hörweite von anderen Patient*innen und Beschäftigen diskutieren zu müssen.

Was können Patient*innen gegen solche Diskriminierungen unternehmen?

Manchmal resultiert diskriminierendes Verhalten aus Mangel an Information und mit einem aufklärenden Gespräch kann das Problem womöglich aus der Welt geräumt werden. Ist dies nicht der Fall, stehen weitere Möglichkeiten zur Verfügung.

Grundsätzlich steht es Patient*innen frei, die Praxis zu wechseln, sofern es denn Alternativen in erreichbarer Nähe gibt. Das ist nicht immer möglich und viele Menschen mit HIV möchten die Erlebnisse nicht einfach auf sich beruhen lassen.

So kann man sich bei einer Behandlungsverweigerung von niedergelassenen Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen– am besten brieflich – an die Kassenärztliche Vereinigung bzw. Kassenzahnärztliche Vereinigung  des jeweiligen Bundeslandes zu wenden. Die Landesärztekammern bzw. Landeszahnärztekammern sind eine weitere wichtige Beschwerdestelle. Sie prüfen, ob ein Verstoß gegen Berufspflichten vorliegt und sind auch für Krankenhausärzt*innen zuständig. Auch hier muss die Beschwerde schriftlich eingereicht werden. Anonyme Beschwerden werden meist nicht bearbeitet. Einige Kammern bieten Beschwerdeformulare auf ihrer Internetseite an. Dabei sollte man sich allerdings bewusst sein, dass diese Institutionen keine unabhängigen Stellen sind. Sie prüfen in erster Linie den Sachverhalt intern und bitten z.B. die Praxis um Stellungnahme.

Bei Verstößen gegen den Datenschutz – wenn etwa die HIV-Infektion auf der Krankenakte für Dritte deutlich sichtbar vermerkt wurde oder am Empfang diese Information mit mangelnder Diskretion behandelt wird – kann z.B. der Datenschutzbeauftragte des betreffenden Krankenhauses oder weitergehend der Landesdatenschutzbeauftragte als externe Instanz in Kenntnis gesetzt werden.

Die örtlichen Aidshilfen und die Kontaktstelle zur HIV-bezogenen Diskriminierung  der Deutschen Aidshilfe bieten Beratung und Unterstützung bei Beschwerden an.

Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes kann eingeschaltet werden.

Diese unabhängige Stelle im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wurde 2006 nach den Anforderungen des neu eingeführten Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) eingerichtet. Hier beraten Jurist*innen kostenlos und prüfen die Möglichkeiten, gegen Diskriminierung vorzugehen. Dabei kommt dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz eine zentrale Rolle zu.

Wie wird im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Diskriminierung definiert?

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz spricht nicht von Diskriminierung, sondern von Benachteiligung; denn nicht jede unterschiedliche Behandlung, die einen Nachteil zur Folge hat, muss diskriminierend sein. So sind beispielsweise die unterschiedlichen Behandlungen in Bezug auf das Berufsleben zulässig, wenn die geforderte Eigenschaft für die Ausübung der Tätigkeit wesentlich und fast unerlässlich ist. Eine Einrichtung für die Beratung schwuler Männer darf etwa explizit nach schwulen Bewerbern suchen oder eine Fluggesellschaft eine Altersgrenze für Pilot*innen festlegen, wenn ein Leistungsabfall statistisch belegbar ist.

Eine unmittelbare (direkte oder offene) Benachteiligung liegt hingegen vor, wenn eine Person ohne sachlichen Grund eine weniger günstige Behandlung als eine Vergleichsperson erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn eine Person mit Migrationshintergrund trotz gleicher Qualifikationen nicht zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wird, Personen ohne Migrationshintergrund hingegen schon.

Welche Formen der Benachteiligung ahndet das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz?

Das AGG schützt Menschen, die aus rassistischen Gründen oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des jungen und alten Lebensalters oder der sexuellen Identität benachteiligt werden.
Der Schutz des AGG erstreckt sich beispielsweise auf den Bereich Beschäftigung und findet auch bei Alltagsgeschäften Anwendung, wie etwa bei Einkäufen, Gaststätten- oder Diskothekenbesuchen, bei Versicherungs- und Bankgeschäften, der Wohnungssuche – und im Gesundheitswesen.

Inwieweit sind Menschen mit einer HIV-Infektion durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vor Benachteiligungen geschützt?

Das Bundesarbeitsgericht hat Ende 2013 entschieden, dass auch eine symptomlose HIV-Infektion als Behinderung im Sinne des AGG gilt (6 AZR 190/12). Denn die Erkrankung, so das Gericht, führe typischerweise zu Stigmatisierung und ansteckungsbedingtem sozialen Vermeidungsverhalten, welches die gesellschaftliche Teilhabe beeinträchtigt. Nach diesem Urteil besteht ein Schutz durch das AGG für Menschen mit HIV im Erwerbsleben. Die Kündigung von Arbeitnehmer*innen wegen einer HIV-Infektion ist im Regelfall diskriminierend und damit unwirksam. (Mehr zu diesem Urteil auf magazin.hiv https://magazin.hiv/2013/12/20/eine-entscheidung-von-grosser-tragweite/ )

Dürfen Dienstleiter*innen Kund*innen aufgrund ihrer HIV-Infektion ablehnen?

Menschen mit HIV müssen nicht hinnehmen, dass man sie unter dem Vorwand bestehender Infektionsrisiken oder eines erhöhten Desinfektionsaufwandes in Tattoo-, Massage- oder Nagelstudios nicht bedient. Denn die HIV-Infektion stellt keinen sachlichen Grund dar, der eine solche Ungleichbehandlung rechtfertigten würde. Die Hygienemaßnahmen sind für alle Kund*innen gleich.

Schützt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz auch bei Diskriminierungen im Gesundheitswesen?

Diese Frage ist derzeit noch nicht abschließend beantwortet. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz schützt Menschen, die rassistisch diskriminiert werden beim Eingehen jeglicher zivilrechtlicher Verträge. Menschen, die wegen anderer Merkmale wie einer Behinderung, des Geschlechtes, der sexuellen Identität, des Alters, der Weltanschauung oder Religion diskriminiert werden, sind hingegen nur dann geschützt, wenn die betreffenden Verträge ein sogenanntes Massengeschäft sind. Dies sind Geschäfte, die allen zugänglich sind, wie die Buchung von Hotelzimmern, Fitnessstudioverträge, aber auch das Einkaufen in Supermärkten. Solche Geschäfte kommen typischerweise in einer Vielzahl von Fällen zu gleichen Bedingungen zustande. Die persönlichen Eigenschaften der Kund*innen spielen für den Vertragsabschluss keine Rolle.

Sind Behandlungsverträge zwischen Patient*innen und Ärzt*innen ebenfalls Massengeschäfte? Oder stehen hier nicht vielmehr ganz individuelle Vereinbarungen im Vordergrund?

Auch wenn der Begriff Massenverträge ein wenig nach Massenabfertigung klingt: Selbstverständlich sollte jede Behandlung auf die individuellen Bedürfnisse der jeweiligen Patient*innen abgestimmt sein. Der ärztliche Behandlungsvertrag aber ist eine standardisierte Dienstleistung. Alle Krankenversicherten haben das gleiche Recht auf kassenärztliche Leistung, die Vertragsbedingungen sind für alle gleich und die Behandlungen müssen medizinischen Standards genügen, die sich nicht von Patient*in zu Patient*in unterscheiden. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat hier sehr deutlich Stellung bezogen. Unsere Auffassung ist, dass es natürlich auf die Person der Patient*innen ankommt. Beim Abschluss eines Behandlungsvertrages dürften die im AGG genannten Merkmale wie Behinderung, Alter oder Geschlecht jedoch keine Rolle spielen“, erklärt Bernhard Franke, kommissarischer Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. (Hier das komplette Interview)  „Diese Persönlichkeitsmerkmale haben jedoch nur eine nachrangige Bedeutung dafür, ob ein Arzt oder eine Ärztin jemanden behandelt.“

Ein Arzt bzw. eine Ärzt*in darf Patient*innen nicht einfach ablehnen, nur weil die Hautfarbe oder das Alter nicht passt – oder eine HIV-Infektion vorliegt. Ärzt*innen müssen also sachliche Argumente vorlegen, wenn sie Menschen mit HIV anders behandeln (oder gar nicht erst behandelt wollen.) Und das dürfte schwierig werden.

von Axel Schock