Beratung bei einer Anzeige

Gerichtssaal

Unter ganz bestimmten Umständen kann die (potenzielle) Übertragung einer HIV-Infektion als Straftat ausgelegt werden. Wenn es zu einer Anzeige kommt, geht es meist um Infektionen durch Sexualverkehr. Sogar wenn keine Infektion stattgefunden hat, kann das als Versuch einer Straftat angesehen werden. Aber was, wenn die angezeigte Person gar nichts von ihrer HIV-Infektion wusste? Oder wenn ein Verzicht auf Kondome verabredet war? Und zählt dazu auch, wenn gar keine HIV-Übertragung möglich ist, weil die Person mit HIV Medikamente nimmt, die die Virenvermehrung erfolgreich unterdrücken? Wir erklären, worauf es genau ankommt.

Rechtslage in Deutschland

In vielen Ländern gibt es spezielle Strafvorschriften für die Übertragung von Infektionskrankheiten. Anders in Deutschland. Hier kann die Infektion einer anderen Person mit HIV als Körperverletzungsdelikt behandelt werden – konkret als gefährliche Körperverletzung (§§ 223, 224 StGB) in Form einer Gesundheitsschädigung mittels einer „das Leben gefährdenden Behandlung“ bzw. des „Beibringens gefährlicher Stoffe“. In Deutschland ist auch der Versuch eines solchen Delikts strafbar.

Nur unter bestimmten Voraussetzungen wird eine Strafbarkeit bei der Übertragung von HIV angenommen: Erstens muss die Person „vorsätzlich“ gehandelt haben und zweitens „rechtswidrig“.

Was ist unter „Vorsatz“ in Bezug auf HIV-Infektionen zu verstehen?

Wenn ein Gericht prüft, ob jemand vorsätzlich gehandelt hat, beschäftigt es sich mit der Frage, ob sie*er wusste, was sie*er tut, und das entweder wollte oder das Ergebnis billigend in Kauf genommen hat. Letzteres nennt man „bedingten Vorsatz“.

Entscheidend ist also, was „im Kopf“ einer*s Beschuldigten vorgeht. Da ein Gericht nicht in die Köpfe von anderen hineinschauen kann, versucht es Rückschlüsse auf die innere Einstellung zu ziehen, indem es überprüft, was bei dem Geschehen selbst und vorher oder nachher alles passiert ist.

Kenntnis der HIV-Infektion

Wer nicht weiß, dass sie*er HIV-positiv ist, kann die Infektion einer weiteren Person weder „wollen“ noch „billigend in Kauf nehmen“.

Aber wer Sex ohne Kondom hat und weiß, dass sie*er HIV-positiv ist, kann sich wegen des Versuchs einer gefährlichen Körperverletzung strafbar machen, auch wenn es nicht zu einer Infektion kommt.

Kondom

Objektiv führt die Verwendung eines Kondoms beim Sex dazu, dass das Risiko eine andere Person mit HIV zu infizieren, verschwindend gering ist. Zusätzlich kann dadurch auch auf die „innere Einstellung“ geschlossen werden: Wenn eine Person mit HIV beim Sex Kondome verwendet, macht sie deutlich, dass sie niemanden anstecken „will“ und eine Infektion von anderen auch nicht „billigend in Kauf“ nimmt. Sie wendet ja allgemein anerkannte Maßnahmen an, um eine Infektion zu vermeiden. Wenn also beim Sex von Anfang an ein Kondom „ordnungsgemäß“ genutzt wird, kann von einer Strafbarkeit mangels Vorsatz nicht ausgegangen werden.

Schutz durch Therapie

Seit vielen Jahren ist bekannt, dass Menschen mit HIV, die eine „Viruslast unter der Nachweisgrenze“ haben (das heißt, ihre HIV-Medikamente unterdrücken die HIV-Vermehrung), niemanden beim Sex anstecken können. Voraussetzung hierfür ist, dass die betreffende Person konsequent die HIV-Therapie einnimmt und diese regelmäßig kontrollieren lässt. Das hat sich inzwischen auch bei den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten herumgesprochen.

Die meisten Menschen mit HIV werden erfolgreich mit einer HIV-Therapie behandelt. Sie wissen, dass dadurch für andere kein Infektionsrisiko mehr besteht. Wer diese Informationen hat und weiß, dass dem*r Partner*in nichts passieren kann, handelt auch nicht vorsätzlich. Etwas, von dem ich weiß, dass es unmöglich ist, kann ich im strafrechtlichen Sinn nicht „wollen“ oder „billigend in Kauf nehmen“.

Was kannst du bei einer Anzeige tun?

Es kommt immer wieder vor, dass Menschen mit HIV beschuldigt werden, Sexualpartner*innen mit HIV infiziert oder jedenfalls einem Risiko ausgesetzt zu haben, und deswegen strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet werden. Meistens liegt dem eine Strafanzeige zu Grunde. Wenn die Polizei oder Staatsanwaltschaft von einem solchen Vorgang Kenntnis bekommt, müssen sie die Ermittlungen aufnehmen.

Ein*e Beschuldigte*r ist nicht verpflichtet, an den Ermittlungen mitzuwirken. Es gilt Ruhe zu bewahren und zum Beispiel gegenüber der Polizei nicht vorschnell Dinge zu erzählen, die später gegebenenfalls gegen einen verwendet werden können.

Der Vorwurf, eine Person einem Infektionsrisiko ausgesetzt zu haben oder gar infiziert zu haben, ist schwerwiegend. Daher sollte nach Möglichkeit fachkundige Beratung und anwaltliche Unterstützung genutzt werden. Hierzu hat man in jeder Phase des Verfahrens ein Recht.

Unterstützung bei der Suche nach einem*r im HIV-Bereich erfahrenen Anwält*in bieten die Aidshilfen vor Ort oder die Kontaktstelle HIV-bezogene Diskriminierung.

Wenn eine Anzeige angedroht wurde, kann ein moderiertes Gespräch hilfreich sein. Hierbei kann die Kontaktstelle oder eine Aidshilfe vor Ort unterstützen.

Portrait einer Person

Rechtsanwalt Jacob Hösl, Experte in HIV und Strafrecht(Foto: Aidshilfe Köln)

 

„Niemand ist davor gefeit, beschuldigt zu werden. Wovor du dich schützen kannst, ist eine Verurteilung.“ 

Jacob Hösl, Rechtsanwalt

 

GUT ZU WISSEN

  • Wer alles für den Schutz der*s Partner*in tut, zum Beispiel durch Kondome, ist strafrechtlich auf der sicheren Seite.
  • Es gibt in Deutschland keine Pflicht, Sexpartner*innen von der HIV-Infektion in Kenntnis zu setzen.
  • Nur wer erstens „vorsätzlich“ und zweitens „rechtswidrig“ handelt, macht sich strafbar.
  • Eine einmal erstattete Strafanzeige kann nicht mehr zurückgenommen werden, da die gefährliche Körperverletzung ein sogenanntes Offizialdelikt ist und Ermittlungen (weiter)geführt werden müssen.