AGG Reform – Jetzt!

Diskriminierung
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Das zivilgesellschaftliche Bündnis „AGG Reform – Jetzt!“ fordert eine zügige Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Auch die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes beklagt die Tatenlosigkeit der Ampelkoalition.

Es kann jede und jeden treffen: Weniger Gehalt für die gleiche Arbeit als der Kollege? Keine Chance auf eine Wohnung, weil alleinerziehend oder queer? Bei der Bewerbung um einen Job gleich aussortiert, weil der Name nicht „klassisch deutsch“ klingt? Ohne Grund von der Polizei kontrolliert worden, allein wegen der Hautfarbe? Tag für Tag erleben Menschen in Deutschland in ihrem Alltag die unterschiedlichsten Formen von Diskriminierung. Ein Drittel der Bevölkerung hat solche Erfahrungen bereits gemacht, viele Menschen seien sogar mehrfach von Diskriminierung betroffen, wie Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, im April bei einer Fachtagung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes erklärte.

Eigentlich sollten die Menschen durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vor Diskriminierung geschützt werden. Es verbietet seit 2006 eine Ungleichbehandlung „aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“.

„Wir haben eines der schwächsten Antidiskriminierungsgesetze in Europa“

Doch leider tut es dies nur unzureichend. Denn das Gesetz hat in seiner Ausgestaltung enorme Lücken. Mehr als ein Drittel der Diskriminierungsfälle, die der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gemeldet werden, fallen nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes. Und falls der konkrete Fall doch von der jetzigen Version des AGG abgedeckt wird, ist es für Menschen, die Diskriminierung erlebt haben, oft schwer, ihr Recht einzuklagen. Die meisten Fälle von Diskriminierung bleiben deshalb ohne Konsequenzen. „In einer wirklich freien Gesellschaft leben wir nur dann, wenn wir es als Gesellschaft schaffen, allen Menschen gleiche Verwirklichungschancen zu eröffnen“, sagte Lisa Paus und bekräftigte die Notwendigkeit einer umfassenden Reform.

SPD, Grüne und FDP haben in ihrem Koalitionsvertrag zwar angekündigt, das AGG zu evaluieren, Schutzlücken zu schließen, den Rechtsschutz zu verbessern und den Anwendungsbereich auszuweiten. Doch geschehen ist bislang noch nichts. Es gibt weder ein Eckpunktepapier noch einen Gesetzentwurf. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) scheint die Sache aussitzen zu wollen, bis die angekündigte Euro-Richtlinie für Antidiskriminierungsstellen vorliegt. Doch das könne noch Jahre dauern, warnt Eva Andrades vom Antidiskriminierungsverband Deutschland und stellt fest: „Wir haben bislang eines der schwächsten Antidiskriminierungsgesetze in Europa.“

Zu viele Menschen in Deutschland hätten aufgrund von Diskriminierung und Rassismus schlechtere Lebenschancen, erklärt Karen Taylor von der der Bundeskonferenz für Migrantenorganisationen. „Damit das Chancenland Deutschland für alle Realität wird, müsse die FDP und insbesondere Bundesjustizminister Buschmann die Blockadehaltung aufgeben und das AGG als wichtigen Baustein im Kampf gegen Rassismus gestalten“.

Das Bündnis „AGG Reform – Jetzt!“ macht Druck

Deshalb macht nun das Bündnis „AGG Reform – Jetzt!“ Druck. Über 100 zivilgesellschaftliche Organisationen – darunter die Deutsche Aidshilfe, der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen, der Bundesverband Trans*, der Deutsche Behindertenrat und der Zentralrat der Muslime in Deutschland – haben sich zu dieser Allianz zusammengeschlossen und anlässlich des Jahrestags des Inkrafttretens des AGG ein 98-seitige Stellungnahme vorgelegtpdf Paragraf für Paragraf wird darin kommentiert, wie das Gesetz geändert und ergänzt werden müsse. Ergänzend dazu wurden elf Grundforderungen formuliert.

Die Bundesbeauftrage für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, hatte die Forderungen „aus der Mitte der Zivilgesellschaft“ begrüßt: „Das darf nicht ungehört bleibe“. Sie selbst hatte bereits im Juli mit einem eigenen Grundlagenpapier. das Justizministerium aufgefordert, die Reform des AGG endlich anzugehen.

Eine der Hauptkritikpunkte der Antidiskriminierungsstelle wie des Bündnisses ist die sehr kurze Frist von zwei Monaten, um Ansprüche bei der diskriminierenden Person oder Institution geltend zu machen. Danach kann mit dem AGG nicht mehr gegen die Diskriminierung vorgegangen werden. Viel zu kurz, um den Betroffenen die nötige Zeit zu geben, das Erlebnis zu verarbeiten, als Unrecht zu erkennen, sich Rat zu holen und Klagemöglichkeiten und wie die entstehenden Prozesskosten abzuwägen. Diese Frist soll daher auf zwölf Monate verlängert werden.

Einig sind sich das Bündnis und Ataman zudem, was die Erweiterung der im ersten Paragrafen des Gesetzes genannten Diskriminierungsmerkmale angeht. Zum einen soll dort der veraltete Begriff „Rasse“ geändert werden in „rassistische Diskriminierung“ oder aufgrund „rassistischer Zuschreibung“. Zum anderen die bisher sechs Kategorien u.a. um „sozialer Status“, „chronische Erkrankung“, „Körpergewicht“ und „Geschlechtsidentität“ ergänzt werden. Verboten werden soll auch eine Benachteiligung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder Pflegetätigkeiten (wie Care-Arbeit innerhalb der Familie). Zum Vergleich: Das AGG-Pendant in Frankreich umfasst 25 Diskriminierungskategorien.

Diskriminierungen durch Behörden werden nicht geahndet

Eine der zentralen Forderungen betrifft den Wirkungsbereich des AGG. Bislang greift es lediglich in den Bereichen Beschäftigung, Güter und Dienstleistungen, wenn etwa Menschen als Kund*innen oder Arbeiternehmer*innen diskriminiert werden. Ausgenommen sind bisher jedoch Diskriminierungen von staatlicher Seite, etwa durch Lehrer*innen an Schulen, durch Einrichtungen wie dem Jobcenter oder eben der Polizei. So ist racial profiling durch das AGG nicht zu ahnden.

Doch nicht nur kurze Fristen und eine schwierige Beweisführung erschweren die Durchsetzung der Rechte von diskriminierten Personen, sondern auch unverhältnismäßig teure Klageverfahren. „16 Jahre Erfahrungen von Antidiskriminierungsberatungsstellen zeigen: Betroffene klagen sehr selten, weil zu viele Hürden bestehen. Beratungsstellen können zwar informieren und unterstützen, aber die Klagelast müssen Betroffene allein tragen“, fasst der Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd) zusammen. „Gleichbehandlung und Schutz vor Diskriminierung müssen aber durchsetzbar sein und nicht nur auf dem Papier stehen.“

Daher sei daher dringend notwendig, im AGG auch ein kollektives Klagerecht vorzusehen, wie es sich bereits in vielen anderen europäischen Staaten (beispielsweise in Österreich) bewährt hat, erklärt der Rechtsexperte Bernhard Franke. Er war vor Ferda Ataman kommissarischer Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Damit könnten nicht nur direkt Betroffene vor Gericht ziehen, sondern auch Verbände. So könnte es der Deutschen Aidshilfe möglich sein, Musterprozesse etwa zur Diskriminierung von Menschen mit HIV im Berufsleben oder im Gesundheitswesen zu führen.

„Durch ein Verbandsklagerecht hätten wir die Möglichkeit, gegen strukturelle Diskriminierung vorzugehen und müssten nicht immer den Einzelnen den langen Marsch durch die Instanzen überlassen“ so Kerstin Mörsch von der Kontaktstelle HIV-bezogene Diskriminierung der Deutschen Aidshilfe.

Ferda Atman möchte zudem, dass auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes selbst klagen kann, wenn es um Fälle allgemeiner Bedeutung geht, die potentielle viele Menschen betreffen.

Wenig abschreckende Strafzahlungen

Diskriminierung solle zudem abschreckend sanktioniert werden, betont Bernhard Franke. Betroffene dürften nicht mit Entschädigungssummen abgespeist werden, „die sich quasi aus der Portokasse begleichen lassen“. Bislang würden oft nur Strafzahlungen in Höhe von wenigen Hundert Euro verhängt.

Mit den Veröffentlichungen der Initiative AGG Reform jetzt! und der Bundesbeauftragen Ataman liegt der Ball nun beim Justizministerium. Dort hat man bislang recht verhalten auf die Forderungen reagiert. Ein Entwurf für eine Reform des AGG sei noch „in dieser Legislaturperiode“ geplant. Diese recht vage Formulierung lässt vermuten, dass dieses Projekt keine besondere Priorität im Hause Buschmann hat. Umso wichtiger wird es sein, dass die Zivilgesellschaftlichen Organisationen ihren Druck aufrechterhalten.

Denn ein effektives Allgemeines Gleichstellungsgesetz, so Eva Andrades, würde „nicht nur mehr Fairness und Partizipation in der Gesellschaft ermöglichen, sondern auch die Grundrechte aller stärken.“

Axel Schock