Das gute Recht, sich gegen Diskriminierung zu wehren

Theresa Haller
© Vero Steinberger

Dank der Unterstützung des österreichischen Klagsverbands konnte eine HIV-positive Frau erfolgreich gegen die Diskriminierung durch eine Zahnärztin vorgehen. Wie der Verband arbeitet, warum bei Diskriminierungsfällen Schlichtungsverfahren verpflichtend sein können und welche Möglichkeiten ein Verbandsklagerecht bietet, erläutert Theresa Hammer. Sie leitet die Rechtsdurchsetzung des Klagsverbands.

Ist der Fall der Wiener Patient*in der erste im Kontext von HIV, den der Klagsverband vor Gericht bringen konnte?

Wir haben vor einigen Jahren schon einmal einen Versuch mit einem vergleichbaren Fall unternommen. Allerdings kam es damals zu keinem Urteil, weil das Gericht nicht davon überzeugt war, dass der Vorfall sich so abgespielt hat, wie er von der Betroffenen geschildert wurde. Somit ist der aktuelle Fall tatsächlich ein Meilenstein, wenn auch keineswegs ein Einzelfall. Wir wissen, nicht zuletzt durch die Aids Hilfe Wien, dass HIV-positive Menschen sehr häufig Diskriminierungen beim Zugang zu Gesundheitsdienstleitungen erleben, speziell bei Zahnärzt*innen.

Wie funktioniert und arbeitet Ihre Interessensvertretung?

Der Klagsverband ist als Dachverband organisiert. Dazu gehören mittlerweile mehr als 60 Mitgliedsorganisationen aus ganz Österreich, die alle unter anderem Diskriminierungsfälle bearbeiten. Darunter sind Organisationen, die sich für die Rechte von LGBTIQ*, von Migrant*innen und von Menschen mit Behinderungen einsetzen. Wir versuchen sie dabei rechtlich zu unterstützen und versorgen sie mit dem nötigen Knowhow, um Diskriminierungen zu erkennen und die Betroffenen rechtlich zu unterstützen oder außergerichtliche Lösung zu finden.

Die Mitgliedsorganisationen machen uns im Gegenzug auf Fälle aus ihrer Beratungsarbeit aufmerksam, die über den konkreten Einzelfall hinaus so interessant erscheinen, dass wir sie als Musterfälle vor Gericht bringen könnten. Im Fall der Zahnarztpatientin hatte dies die Aids Hilfe Wien vorangetrieben.

Das heißt, eine der zentralen Aufgaben des Klagsverband ist es, bislang ungeklärte Rechtsfragen erstmals vor Gericht zu beantworten?

Richtig, unser Ziel ist es, durch strategische Prozessführung das Diskriminierungs- und Gleichstellungsgesetz weiterzuentwickeln. Das Grundanliegen des Klagsverbands ist zum einen, Organisationen, die mit unterschiedlichen Formen der Diskriminierung zu tun haben, in einem Netzwerk zusammenzubringen, um sich gegenseitig solidarisch unterstützen zu können. Zum anderen versuchen wir über die Verfahrensführung vor Gericht Entscheidungen zu erhalten, die nicht nur für eines der geschützten Diskriminierungsmerkmale wie Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Behinderung oder sexuelle Identität relevant sind, sondern über die einzelne Community hinaus von Bedeutung sein könnten.

Welche Unterstützung gab es im konkreten Fall der HIV-positiven Patientin?

Wir sind hier als rechtliche Vertretung der Klägerin aufgetreten. Ob eine solche Rechtvertretung durch eingetragene Rechtsanwält*innen geschehen muss oder auch durch den Klagsverband möglich ist, richtet sich jeweils nach den prozessrechtlichen Vorschriften. In der Regel besteht ab einem Streitwert von 5.000 Euro die Pflicht, sich durch eine*n Rechtsanwält*in vertreten zu lassen. Wir haben in diesem Fall für die Betroffene einen im Gleichbehandlungsrecht vorgesehenen Schadenersatz geltend gemacht, und zwar in Höhe von 1.500 Euro.

Für die Klägerin entstanden also keine Kosten bzw. sie ging kein finanzielles Risiko ein?

Der Klagsverband hat Mittel in einem Klagsfond reserviert, um Verfahren führen und damit auch das Prozessrisiko übernehmen zu können. Nicht immer reicht dafür unser Budget, sodass wir in manchen Fällen solidarische Unterstützung suchen müssen, um die Finanzierung sicherzustellen. Die Angst vor den Kosten ist eine der wesentlichen Barrieren, weshalb Betroffene nicht vor Gericht zu ziehen. Daher ist unser Anliegen, auch auf dieser Ebene den Rechtszugang zu verbessern.

Wie finanziert der Klagsverband diese Arbeit?

Eine Säule der Finanzierung sind die Mitgliedsbeiträge der Mitgliedsorganisationen, den Hauptanteil aber liefern öffentliche Förderungen. Dies bedeutet für uns, dass wir etwa jährlich bei den betreffenden Ministerien Fördermittel beantragen müssen.

Wie viele Fälle können Sie im Jahr begleiten bzw. wie viele Klagen finanzieren?

Unser Team besteht aktuell aus fünf Mitarbeiter*innen, wobei wir alle in Teilzeit oder lediglich geringfügig beschäftigt sind. Dadurch sind unsere Möglichkeiten schon begrenzt. Wir können deshalb nur solche Fälle vor Gericht bringen, die uns sehr aussichtsreich erscheinen. Das sind pro Jahr derzeit ein halbes Dutzend. Rechtliche Unterstützung in Form von Beratungen findet hingegen bei weit mehr als 100 Fällen jährlich statt.

Ein Gang vors Gericht – wie im Fall der Zahnarztpatientin – ist der letzte Schritt, um sich gegen eine Diskriminierung zu wehren. Das österreichische Gesetz sieht zuvor ein Schlichtungsverfahren vor.

Das verpflichtende Schlichtungsverfahren gibt es nur im Bereich des Behindertengleichstellungsrechts. Dies bedeutet, dass, bevor der Klageweg bestritten wird, zuvor ein Schlichtungsversuch unternommen werden muss. Über den sogenannten Sozialministeriumsservice ist bei öffentlichen Stellen mit Referent*innen ein moderiertes Gespräch zu führen. Dabei ist das Ziel, niedrigschwellig zwischen den Beteiligten eine konstruktive Lösung zu finden, die bestenfalls nachhaltiger ist als eine einmalige Schadenersatzzahlung. Wobei der Schadenersatz für Betroffene auch eine wichtige Rolle spielen kann. Denn eine Diskriminierung ist stets mit einer Verletzung der Würde verbunden und, wie im Fall der HIV-positiven Patientin, auch mit Stigmatisierung. Dies kann einen Menschen davon abhalten, eine Dienstleistung im Gesundheitsbereich wieder in Anspruch zu nehmen. Deshalb ist hier ein Ausgleich in Form einer Entschädigung in jedem Fall angemessen.

Bei einer Schlichtung können hingegen auch praktische Lösungen gefunden werden, die vor Gericht in dieser Form nicht möglich sind. Sei es, dass beispielsweise eine Barriere entfernt wird, die Menschen mit Behinderungen benachteiligt, oder in Zukunft ein diskriminierungsfreies Bewerbungsverfahren garantiert wird.

Warum kam es im Fall der Zahnarztpatientin nicht zu einer Schlichtung?

Die Zahnärztin hatte über ein Jahr hinweg mehrerer Einladungen zu Schlichtungsterminen kurzfristig abgesagt, sodass nur der Klageweg blieb. Über ihre Motive kann ich nur spekulieren.

Eine Besonderheit des österreichischen Behindertengleichstellungsgesetzes ist neben dem Schlichtungsverfahren das Verbandsklagerecht. Welche Möglichkeiten bietet es?

Der Klagsverband kann nicht nur in konkreten Einzelfällen unterstützen. Diskriminierungsfälle von Menschen mit Behinderungen im Bereich von Dienstleistungen oder in der öffentlichen Verwaltung können wir als Verband vor Gericht zu bringen, um dort feststellen zu lassen, dass es sich auch aus juristischer Perspektive um eine Diskriminierung handelt. Solche Klagen beziehen sich nicht auf individuelle Einzelfälle, sondern es geht um Diskriminierungen, die die Lebensbereiche vieler Menschen mit Behinderungen betreffen. 
Das Verbandsklagerecht ist also ein wichtiges Instrument, um strukturelle Diskriminierungen aufzuzeigen und mit einem konkreten Fall an die Öffentlichkeit zu gehen, um eine Lösung zu fordern oder eine Vorbildwirkung für andere Betroffenen zu schaffen. Aktuell führen wir als Klagsverband die erste Verbandsklage im Behindertengleichstellungsrecht überhaupt durch. Dabei geht es um den Schulzugang für Kinder mit Behinderungen. Neben dem Klagsverband können noch der österreichische Behindertenrat und die Behindertenanwaltschaft dieses Verbandsklagerecht wahrnehmen. Bislang ist das Verbandsklagerecht nur in diesem Bereich verankert. Wir fordern deshalb, dass dieses Recht auch für andere Diskriminierungsmerkmale wie Herkunft oder Geschlechtsidentität ermöglicht wird.

Welche Defizite sehen Sie darüber hinaus bei den jetzigen rechtlichen Möglichkeiten?

Solche Verfahren sind sowohl mit einem großen organisatorischen Aufwand als auch mit einem hohen Kostenrisiko verbunden. Damit das Verbandklagerecht kein totes Recht ist, müssen die klageberechtigten Institutionen mit entsprechenden Mitteln ausgestattet sein, zum Beispiel über einen Finanzierungsfond. Sonst ist das vor allem für zivilgesellschaftliche Organisationen aus den eigenen Ressourcen nicht leistbar.

Wichtig fänden wir auch einen gesetzlichen Mindestschadenersatz bei Diskriminierungen, um nicht in jedem neuen Fall darlegen zu müssen, weshalb ein Schadensersatzbetrag angemessen ist – zumal das Gesetz vorsieht, dass der Schadensersatz abschreckende Wirkung haben soll.

Wie schätzen Sie das ergangene Urteil im Fall der Zahnarztpatientin ein? Ein Sieg auf ganzer Linie?

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Klägerin wollte es nicht akzeptieren und ist deshalb in Berufung gegangen. Wir sind allerdings zuversichtlich, dass das Urteil in zweiter Instanz bestehen wird, weil wichtige rechtliche Überlegungen aus dem Urteil unserer Ansicht nach nicht mehr revidierbar sind. Es ist aber bereits jetzt ein wichtiger Etappensieg, weil von dem Urteil eine Signalwirkung ausgeht und es breit in der Öffentlichkeit diskutiert wurde: in Aidshilfen und bei anderen Organisationen, in juristischen Fachkreisen und in den Medien.

 

Interview: Axel Schock