Polizeianwärter darf nicht wegen seiner HIV-Infektion abgelehnt werden. Ein Interview mit Jacob Hösl, dem Rechtsanwalt des Klägers.
Fast alle Bundesländer stehen der Einstellung von Menschen mit HIV in den Polizeidienst äußerst kritisch gegenüber und stufen sie als nicht diensttauglich ein. Dies ergab eine Anfrage der Deutschen Aidshilfe bei allen Innenministerien. Begründet wird dies durch interne Vorschriften und mit einem Votum der Polizeiärzt_innen des Bundes und der Länder. Anders als Soldat_innen bei der Bundeswehr (wo 2017 Menschen mit HIV explizit den Dienst antreten dürfen), würden Polizist_innen in der Regel auf Lebenszeit eingestellt. Sie hätten zudem häufiger gewalttätigen Kontakt zu Bürger_innen, wobei die Gefahr der „Blutübertragung“ bestehe. Diese gelte es zu vermeiden. Darüber hinaus sei, so die Argumentation der Polizeiärzt_innen, über die Langzeitwirkung der HIV-Therapie wenig bekannt, so dass man keine positive Prognose bis zum Erreichen der Altersgrenze treffen könne. Zudem müsse der Dienstherr diese lebenslange Therapie aufkommen.
Die niedersächsische Landespolizei darf Bewerber_innen nicht grundsätzlich aufgrund ihres positiven HIV-Status ablehnen. Das hat das Verwaltungsgericht Hannover am 18. Juli in einer mündlichen Verhandlung entschieden. Ein Urteil mit Signalwirkung. Der Kölner Rechtsanwalt Jacob Hösl, der den Kläger vor Gericht vertreten hat, erläutert im Interview die Hintergründe des Verfahrens und die Tragweite der richterlichen Entscheidung. Durch das Urteil des Verwaltungsgerichts wurde die diskriminierende und die medizinischen Fakten ignorierende Haltung der Polizei in Frage gestellt.
Jacob Hösl, Ihr Mandant wurde von der Polizeiakademie Niedersachsen aufgrund seiner HIV-Infektion als Bewerber abgelehnt. Das Verwaltungsgericht kam nun zu dem Schluss, dass aufgrund der erfolgreichen HIV-Therapie keinerlei Gefahr bestehe, dass er im Dienst andere Personen anstecken und deshalb bedenkenlos bei der Polizei arbeiten könne. Hand aufs Herz: Hättest du einen anderen Ausgang für denkbar gehalten?
Nachdem die Gutachten der Sachverständigen vorlagen, war recht klar, dass die Hauptfrage, ob eine Ausbildung bzw. die Übernahme in ein Beschäftigungsverhältnis möglich sind, positiv beschieden würde. Das liegt in formalen Gründen und hat damit zu tun, dass ein Gericht nicht über die Fachkenntnis verfügt, um sich gegen ein Sachverständigengutachten auszusprechen.
Prof. Dr. med. Georg Behrens, Experte für Immunologie an der Medizinischen Hochschule Hannover, hatte in seinem Gutachten betont, der Kläger sei dienstfähig, da von diesem keine Infektionsgefahr ausgehe und er keine kürzere Lebenserwartung als andere Menschen habe. Die Kammer hob in einer Pressemitteilung hervor, dass es sich hier um eine Einzelfallentscheidung handle.
Die Kammer hat in der Tat auf diese Feststellung großen Wert gelegt. Richter scheuen sich in der Regel, ihre Entscheidungen grundsätzliche Dimensionen zuzusprechen. In diesem konkreten Fall haben sie auch betont, dass ihre Entscheidung erst möglich war, nachdem dazu ein Sachverständiger gehört worden war. Das wiederum liegt daran, dass sie allgemein bekannte medizinische Fakten in Beziehung zu HIV als sehr speziell ansehen. Das darf eigentlich nicht sein. Es handelt sich hier schließlich um grundlegende medizinische Fakten, die keineswegs nur in Fachmagazinen veröffentlicht, sondern öffentlich zugänglich sind. Sie müssen daher eigentlich bei allen Entscheidungsträgern bekannt sein; das trifft die Gerichte ebenso wie die Polizei. Ich bin mir sicher, dass wir dazu auch irgendwann kommen, derzeit aber sieht es leider noch ganz anders aus.
Wenn es sich also um eine Einzelfallentscheidung handelt: Inwieweit hat das Urteil dennoch über den konkreten Fall hinaus Bedeutung?
Das Besondere ist, dass die Polizeiakademie den Kläger ja rundheraus schriftlich abgelehnt, ohne sich den individuellen Gesundheitszustand genauer anzuschauen mit der pauschalen Begründung: Der positive HIV-Status allein führe bereits zur Polizeidienstuntauglichkeit. Das genau verleiht diesem Fall eine allgemeine Bedeutung: die medizinische Situation, dass jemand HIV-positiv und unter Therapie ist, trifft ja auf Tausende Menschen in Deutschland zu. Das heißt, man wird bei vergleichbaren Fällen nicht jedes Mal Gutachten erstellen müssen, da gerade das pauschale Ablehnen als unzulässig erachtet wurde. Zukünftig werden alle HIV-Positive zur Bewerbung für die Polizeiakademie zugelassen werden müssen. Ob sie dann, wie alle andere Bewerber in persönlich-gesundheitlicher Hinsicht polzeidienstfähig sind, ist dann eine Frage des jeweiligen Bewerbers.
Wie kam es, dass der Kläger bereits bei der Anmeldung zum Bewerbungsprozess seinen HIV-Test offengelegt hat?
Er wollte hier mit offenen Karten spielen und hat bei der Bewerbung auch gleich ein Attest seines Arztes beigefügt, der keinerlei Bedenken für einen Dienst bei der Polizei bescheinigt hat.
Wie sieht das generell aus: Darf ein potentieller Arbeitgeber von Bewerber_innen verlangen, den HIV-Status anzugeben?
Nein, nur in den Fällen, in denen das für das Beschäftigungsverhältnis von Relevanz ist. Bei der Polizei wird das nach wie vor so gesehen.
Und wenn ich diese Auskunft verweigere?
Sofern die Frage zulässig ist, wird man wohl gar nicht erst zum Auswahlverfahren zugelassen oder nicht in das Beschäftigungsverhältnis aufgenommen. Denn wenn die Bewerber in solchen Fällen es beim Bewerbungsverfahren verschweigen, wird die HIV-Infektion spätestens bei der Gesundheitsüberprüfung bekannt werden und zu der gehört bei der Polizei gegebenenfalls auch ein HIV-Test. Ein solch verpflichtender Test ist wohlgemerkt nur zulässig, wenn der HIV-Status für das Dienstverhältnis relevant ist.
Siehe auch: https://magazin.hiv/2014/11/30/sie-wissen-nicht-was-sie-tun/
Sind Fälle von anderen Bewerber_innen bekannt, die aufgrund ihrer HIV-Infektion von Polizeiakademien abgelehnt wurden?
Persönlich sind mir keine bekannt, ich hatte als Rechtsanwalt jedoch schon zu einigen HIV-Positiven im Polizeidienst Kontakt. Daher weiß ich von Fällen, bei denen Polizisten aufgrund ihrer Infektion in den Innendienst versetzt oder zu Auslandseinsätzen nicht zugelassen wurden.
Bei der Bundeswehr dürfen Menschen mit HIV seit 2017 nicht mehr pauschal vom Dienst ausgeschlossen werden. Warum tun sich die Bundespolizei und die Landespolizei so schwer damit?
Ich glaube, hier spielt die Angst vor in der Phantasie entstandenen Haftungsfragen eine Rolle. Die Polizei steht bereits von so vielen Seiten unter Druck, dass sie sich womöglich nicht leisten möchte, sich auch noch mit Vorwürfen auseinandersetzen zu müssen, sie gefährdete die Bevölkerung durch HIV-positive Polizisten.
Siehe auch: https://www.aidshilfe.de/meldung/menschen-hiv-duerfen-bundeswehr
Die Polizei begründet den Ausschluss mit möglichen Übertragungsrisiken und hat dafür außerordentlich konstruierte Szenarien ins Feld geführt, zum Beispiel Kampfhandlungen zwischen Polizei und Bürger_innen, bei denen beide Parteien verletzt werden und es so zu einem Blutaustausch kommt. Ein solcher Infektionsfall ist weltweit kein einziges Mal dokumentiert worden.
Ich glaube, diese Erklärungsmuster dienen lediglich der Stützung ihrer eigenen Argumentation. Sie wollen Menschen mit HIV solange nicht im Polizeidienst sehen, bis sie von den Gerichten dazu gezwungen werden. Der Polizeidienst ist allerdings in der Tat sehr vielschichtig. Es gibt nicht nur Streifenpolizisten, sondern auch extrem robuste Einsätze. Die Polizei führt da durchaus nachvollziehbar Einsätze an, wie etwa beim G20-Gifel in Hamburg oder bei Großdemonstrationen im Hambacher Forst. Das finde ich auch legitim. Es werden bei solchen Einsätzen Polizisten nicht unerheblich verletzt. Nur: Das Problem ist ja nicht die Verletzungsgefahr alleine, sondern die Infektionsgefahr. Für eine Infektionsgefahr braucht es wesentlich mehr als nur eine Verletzung: Es muss zu anlässlich wechselseitiger Verletzungen kommen. Es muss eine Aus- und eine Eintrittspforte vorhanden sein. Solche Situationen sind auch bei sehr robusten Polizei-Einsätzen nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen. Das allerdings interessiert die Polizei in ihrer Argumentation nicht. Dort begnügt man sich mit dem Schlagwort „Verletzungsgefahr“.
Ähnlich hatte auch der Arbeitgeber im Fall des HIV-positiven Chemielaboranten argumentiert, der 2011 in seiner Probezeit gekündigt wurde.
Richtig, das Unternehmen begründete seine Entlassung mit einer möglichen Infektionsgefahr, ohne aber darlegen zu können, wie es zu einer solchen Infektion tatsächlich kommen könnte – selbst, wenn eine Verletzung stattfinden sollte. Das ist im Fall des Bewerbers für den Polizeidienst genau gleich. Gewissermaßen spiegelt sich hier eine laienhafte Vorstellung über HIV und Infektionsrisiken wieder.
Siehe auch: https://magazin.hiv/2013/12/20/eine-entscheidung-von-grosser-tragweite/
Auch in anderer Hinsicht beharrt die Polizei auf einem medizinisch überholten Verständnis von Infektionsrisiken. In polizeilichen Datenbanken von Bund und Ländern werden Bürger_innen mit Hepatitis- oder HIV-Infektionen unter dem Zusatz „ANST“ (ansteckend) geführt – ungeachtet der möglichen Heilung von Hepatitis-C-Infektionen und der Nichtübertragbarkeit von therapierten HIV-Infektionen. Allein in Niedersachsen betrifft dies rund 4.500 Personen.
Ich kann diese Ängste nur als archaisch und im eigentlichen Sinne irrational bezeichnen, denn die medizinischen, wissenschaftlichen Fakten liegen für jedermann vor, werden aber schlicht ignoriert.
Die Landes- und Bundespolizei beruft sich bei ihrer anlehnenden Haltung auf ein Votum der Polizeiärzte des Bundes und der Länder. Sie argumentieren unter anderem damit, dass die Neben- und Langzeitwirkung der HIV-Medikamente zu wenig berechenbar seien und dass von den HIV-positiven Polizist_innen theoretisch immer eine Gefahr für Bürger_innen und Kolleg_innen ausgehen könne. Diese Argumente sind allesamt von Expert_innen, widerlegt. Warum werden Expertisen, wie z.B. die des Bundesgesundheitsministeriums oder der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, offenbar nicht zur Kenntnis genommen?
Neben dem bereits genannten politischen Hintergrund kommt hier konkret hinzu, dass die Polizei im Wesentlichen föderativ strukturiert ist. Das heißt, die meisten Polizeibeamten sind Landesbeamte, nur ein kleiner Teil gehört zur Bundespolizei. Alle Länder haben die Hoheit, in diesem Bereich eigene Entscheidungen zu treffen. Durch die entsprechenden Landgesetze und Verwaltungsvorschriften ist geregelt, dass die Auswahl der Polizeibeschäftigten durch den medizinischen Dienst der Polizei getroffen wird, die auch die dafür zugrundeliegenden Vorschriften verfassen. Das hat damit dazu tun, dass sie als Polizeiärzte mit dem beruflichen Alltag der Polizisten vertraut sind. Weil HIV aber in ihrem Alltag gar nicht vorkommt – denn HIV-Positive sollen ja gar nicht erst den Dienst antreten – sind sie deshalb auch keine HIV-Spezialisten. Deshalb fällt ihnen auch nur ein, HIV-Positive in den Innendienst zu versetzen bzw. sie im Einstellungsverfahren abzulehnen.
Die Landespolizei Niedersachsen erwägt in Berufung zu gehen. Wie lässt sich diese Reaktion erklären? Will man lediglich das Gesicht wahren oder glauben die Verantwortlichen, dass sie Ende Recht bekommen werden?
Das ist schwer zu sagen. Die Polizeiakademie Hannover bzw. das Land Niedersachsen weiß ganz genau, dass dies ein Verfahren ist, das alle Polizeibehörden bundesweit angeht. Ich gehe davon aus, dass sie diesen Fall im Vorfeld besprochen und eine Linie festgelegt haben. Dies war im Gericht auch erkennbar. Die Prozessbevollmächtige der Polizei hat sehr deutlich gemacht, dass es keinerlei Gesprächsbereitschaft gibt und sie ihrer Entscheidung bleiben und sie durchfechten wollen.
Das heißt, sie möchten letztlich doch eine Grundsatzentscheidung erzielen?
Das halte ich für durchaus möglich. Ich denke auch, dass es für Landespolizeien eine Erleichterung darstellen könnten, nicht selbst entscheiden zu müssen, HIV-positive Bewerber und Beschäftige künftig nicht mehr grundsätzlich auszuschließen, sondern vom Gericht dazu gewissermaßen gezwungen werden.
Ihr Klient hat in dieser Sache nicht nur sehr viel Mut, sondern auch langen Atem bewiesen. Der Rechtsstreit dauert ja bereits seit 2016. Welche Unterstützung ist notwendig, finanziell und politisch, um auch in die nächste Instanz gehen zu können?
Ich bin der Ansicht, dass er dafür keine Cent bezahlen soll, denn er kämpft diese Sache nicht allein für sich durch, sondern für alle anderen Bewerber. Und nicht zu vergessen: Er gibt sich dafür her, die letzte noch offene Frage in Bezug auf HIV und Dienstverhältnisse juristisch zu klären. Wir haben ansonsten alles geschafft: HIV ist als Behinderung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes anerkannt, Menschen mit HIV können sowohl in Gesundheitsberufen und in der Bundeswehr tätig sein. Es fehlt nun nur noch die Polizei. Ich würde mich daher freuen, wenn die Deutsche AIDS-Stiftung dem Kläger von allen finanziellen Lasten dieses Prozesses freistellen würde. Das stünde ihr jedenfalls gut zu Gesicht. Ansonsten wäre zu überlegen, ob man einen privaten Spendenpool dafür initiiert.
Wann wird mit einer endgültigen Entscheidung zu rechnen sein?
Wir müssen nun erst einmal die schriftliche Urteilsbegründung abwarten, dann läuft die Berufungsfrist und der Fall geht zum Oberverwaltungsgericht Lüneburg. Ein halbes Jahr wird das alles auf jeden Fall dauern.
Das bisherige Urteil ist solange noch nicht rechtskräftig. Kann es Bewerber_innen dennoch schon nützen?
Das Urteil ist jedenfalls auf der Welt und kann unterstützend herangezogen werden. Es ist halt noch nicht rechtskräftig.
Was empfehlen Sie HIV-Positiven, die sich aktuell für den Polizeidienst bewerben möchten?
Ich gehe nicht davon aus, dass vor Abschluss des Verfahrens HIV-Positive zur Bewerbung zugelassen oder eingestellt werden. Wenn man kurz davor ist, die Altersobergrenze für die Bewerbung zu erreichen, sollte man unter Umständen nicht so lang warten, bis das abschließende Urteil vorliegt. Da wäre es dann sicherlich ratsam, sich noch innerhalb der zulässigen Altersgrenze zu bewerben und eine Ablehnung aufgrund des HIV-Status erst einmal hinzunehmen – und sich dagegen wehren.
Vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Axel Schock
(Urteil von 18. Juli 2019, AZ. 13 A 2059/17)