HIV bedeutet nicht automatisch dienstuntauglich
Polizeioberkommissar Marco Klingberg ist nicht nur der offizielle Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen im Polizeipräsidium des Landes Brandenburg, sondern auch Landesvorsitzender des Verbands lesbischer und schwuler Polizeibediensteter (VelsPol). Ein Gespräch über den Umgang der Polizei mit HIV-positiven Bewerber_innen und Kolleg_innen und der viel kritisierten „Polizeidienstvorschrift 300“.
Im Juli 2019 gelang einem Polizeikommissar-Anwärter vor dem Landgericht Hannover ein weitreichender juristischer Erfolg: Eine HIV-Infektion allein ist kein Grund, Bewerber_innen für die Polizeiakademie abzulehnen. Wie ist dieses Urteil bei der Polizei aufgenommen worden? War das Gesprächsthema innerhalb der Behörden, unter Kolleg_innen, in der Gewerkschaft?
Marco Klingberg: Bei vielen Kollegen ist dieses Urteil positiv aufgenommen worden. Gesprächsthema war das aber im Großen und Ganzen noch nicht, wir werden das Thema als Landesverband Berlin-Brandenburg in unserer zukünftigen Arbeit intensiv angehen. Wir werden es als Landesverband auch mit unserem neuen Bundesvorstand aufnehmen und abklären, ob dieser nicht eine bundesweite Abfrage zum Umgang der Polizeien der Bundesländer und des Bundes starten kann.
Das Urteil betrifft konkret die Polizeiakademie Hannover. Hat sich dadurch auch die Haltung in anderen Bundesländern geändert?
Das Urteil hat natürlich auch eine bundesweite Wirkung. Wir müssen nun sehen, wie hier reagiert wird. Für Berlin und Brandenburg haben wir noch keine Rückmeldungen, wie bei den Einstellungsverfahren zu diesem Thema umgegangen wird. Wir als Landesverband planen Arbeitsgespräche mit den Behördenleitungen und den Ausbildungsstätten, hier soll auch dieses Thema angesprochen werden.
Was rätst du HIV-Positiven, die sich bei der Polizei bewerben wollen?
Ich hatte erst Anfang des Jahres ein Beratungsgespräch in Berlin mit jemanden, der sich bei der Polizei bewerben möchte. Er wollte umfangreiche Informationen zu den Bewerbungsmöglichkeiten, aber auch zum Thema Homosexualität in der Polizei: Wie sieht es u. a. mit Diskriminierungserfahrungen aus? Wo kann man Hilfe bekommen?
Da er HIV-positiv ist, wollte er natürlich auch hierzu Informationen und Beratung haben. Dabei wurde auch das genannte Urteil angesprochen. Weil wir noch keine genauen Informationen dazu haben, wie die Bundesländer jetzt mit dem Thema umgehen, konnte natürlich noch nichts Genaues gesagt werden.
Mein Ratschlag war, seinen HIV-Status nicht zu erwähnen, da dies auch im Bewerbungsverfahren nicht abgefragt werden darf und er dazu auch keine Angaben machen muss.
Ihm wurde aber auch gesagt, dass er sich jederzeit wieder an unseren Landesverband wenden kann, sollte es diesbezüglich Probleme geben.
Inwieweit spielt HIV eine Rolle in der Arbeit von VelsPol? Haben sich schon betroffene Kolleg_innen an euch gewandt, die Rat oder Hilfe suchten?
Natürlich spielt auch der Umgang mit HIV in der Arbeit unseres Landesverbandes eine Rolle. Wir schauen genau hin, wie hier mit diesem Thema innerhalb der Polizei umgegangen wird. Anfragen an unserem Landesverband gab es jedoch bisher noch nicht.Wir versuchen aber regelmäßig, zu diesem Thema zu informieren. So hatten wir u. a. schon einmal einen Informationsabend zum Thema „HIV und Beamtenrecht“ durchgeführt. Dieser wurde sehr gut angenommen und zahlreich besucht. Auch Vertreter der Behördenleitungen aus Berlin und Brandenburg nahmen daran teil.
Wie offen können bzw. konnten deinem Eindruck nach Kolleg_innen mit ihrer HIV-Infektion innerhalb der Polizei umgehen?
Aus meiner Sicht können Kolleg_innen in Berlin und Brandenburg offen damit umgehen. Bisher sind mir keine Probleme bekannt. Wie es in den anderen Bundesländern aussieht, kann ich nicht sagen, hier müsste man unsere anderen Landesverbände zu ihren Erfahrungen anfragen. Vor ein paar Jahren hatte unser Bundesvorstand eine bundesweite Abfrage an die Innenministerien gestartet. Aus allen Antworten ging hervor, dass eine Diskriminierung aufgrund von HIV nicht stattfindet.
Hast du im Rahmen deiner Arbeit von positiven HIV-Coming-outs oder unfreiwilligen Outings erfahren?
Bislang sind mir keine solche Fälle bekannt.
Welche Hilfe kann VelsPol in solchen Fällen anbieten?
Zum einem das persönliche Gespräch mit dem „Betroffenen“. Wir können auch direkt bei der Behörde intervenieren und schauen, wie wir dort weiterkommen, um Diskriminierungen entgegenzuwirken. Durch unsere jahrelange, gute Arbeit in den verschiedenen Bereichen, haben wir aber auch einen sehr guten Stand bei den Behördenleitungen und finden dort immer Gehör.
Welche Unterstützung bräuchte VelsPol, um hier selbst besser unterstützen zu können?
Eine gute Unterstützung wäre zum Beispiel eine intensivere Zusammenarbeit mit den Aidshilfen. Ein Austausch über die aktuelle Rechtsprechung wäre hier sehr förderlich.
Müsste zum Beispiel die Deutsche Polizeigewerkschaft bzw. die Gewerkschaft der Polizei (GdB) ein deutliches Zeichen setzen?
Dies kann ich nur mit einem Ja beantworten. Der DGB ist hier ja schon sehr aktiv und arbeitet da auch mit uns zusammen. Nicht nur Menschen mit HIV, die unter der Nachweisgrenze liegen, wurde bislang eine generelle Dienstuntauglichkeit unterstellt, sondern auch inter- und transgeschlechtlichen Personen.
Die sogenannte „Polizeidienstvorschrift 300“ verlangte von Bewerber_innen für den Polizeidienst, dass das Hormonsystem „intakt“ sein müsse. Faktisch waren dadurch vieler trans* und inter* Personen ausgeschlossen. Diese Vorschrift sollte infolge der Kritik überarbeitet werden. Wie ist derzeit der Sachstand?
Die Reform der „PDV 300“ ist im Gange. Diese wird ja in vielen Bereichen überarbeitet. Eigentlich sollte die überarbeitete Neufassung der bundeseinheitlichen Regelung in diesem Jahr in Kraft treten. Die nächste Innenministerkonferenz soll im Juni stattfinden. Wir hoffen, dass dort dann die neue „PDV 300“ verabschiedet wird. Die Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE hat hierzu gerade eine umfangreiche Anfrage an die Bundesregierung auf den Weg gebracht. Genau diese Frage ist auch ein Bestandteil.
Wir sind schon sehr gespannt auf die Antwort der Bundesregierung. Ich hoffe, dass in der Neufassung dann auch das Thema HIV mit bearbeitet wurde.
Wie sieht es in anderen Arbeitsbereichen für Menschen mit HIV aus? Hier gibt es einen Überblick.
Dieser Artikel ist Teil unserer Aktion zum 1. Mai 2020 „Mit HIV arbeiten? Na klar!“ – mehr Infos dazu hier