Das Interview zum Urteil: Polizei darf Bewerber_innen nicht allein wegen HIV ablehnen
Es ist ein Urteil mit weitreichender Signalwirkung: Das Verwaltungsgericht in Hannover hatte im Juni entschieden, dass die niedersächsische Polizeiakademie die Bewerbung eines HIV-Infizierten nicht ablehnen darf. Drei Jahre hat Christoph T.* auf diese Entscheidung warten müssen. Wie er diese Zeit erlebt hat und wie es für ihn beruflich nun weitergeht, erzählt er im Interview.
Die Urteilsverkündung war für Sie sicherlich einer der wichtigsten Momente in den vergangenen Monaten. Wie haben Sie von der Gerichtsentscheidung erfahren?
Mein Anwalt Jacob Hösl hat sie mir via eMail mitgeteilt. Bei der Urteilsverkündung war ich selbst nicht vor Ort.
Wie haben Sie sich in diesem Moment gefühlt?
Im Vorfeld hatte sich schon abgezeichnet, dass die Entscheidung so ausfallen würde, da die Begründung für meine Ablehnung schon von Anfang an völlig haltlos war.Trotzdem war ich bis zuletzt sehr gespannt und dann auch erleichtert, als ich die Nachricht bekommen habe.
Ihre Bewerbung als Polizeikommissar-Anwärter im Beamtenverhältnis war bereits im Oktober 2016 abgelehnt worden. Was hat Sie angetrieben, diese Entscheidung vor Gericht anzufechten?
Es war nicht die erste Ablehnung, die ich bekommen habe. Ich hatte mich in verschiedenen Bundesländern beworben. Doch dort hatte man es etwas geschickter gemacht. Um mich ablehnen zu können, hatte man andere Gründe vorgeschoben. Somit konnte die Entscheidung nicht gerichtlich angefochten werden. Danach habe ich dann das erste Mal mit Herrn Hösl und mit der Aidshilfe Kontakt aufgenommen und um Rat und Unterstützung gebeten. Ich habe es dann unter anderem auch in Niedersachsen mit einer Bewerbung versucht. Mit dem gleichen Ergebnis wie zuvor.
Andere hätten an dieser Stelle wahrscheinlich resigniert und aufgegeben.
Ja, an diesem Punkt war ich kurzzeitig auch. Da nun aber konkret die HIV-Infektion als Ablehnungsgrund angegeben wurde, hatte ich auch eine rechtliche Grundlage, um dagegen vorzugehen. Und durch die Unterstützung meiner behandelnden Ärztin, der Aidshilfe und dem Rückhalt von Herrn Jacob Hösl habe ich mich dann dazu entschlossen gerichtliche Schritte einzuleiten.
Waren Sie von Anfang an davon überzeugt, dass sie am Ende auch Recht bekommen würden?
Nein aber ich dachte mir, ich probiere es einfach mal und schaue, was daraus wird. Vor allem konnte ich diese veralteten und sturen Ansichten nicht nachvollziehen, die in den zuständigen Behörden noch herrschen. Deshalb wollte ich mich mit der Ablehnung auch nicht einfach so abfinden.
Die Polizeiakademie hatte ihre Ablehnung damit begründet, dass die Infektion automatisch zur Polizeidienstuntauglichkeit führt. Dass es letztlich zweieinhalb Jahre gedauert hat, bis Ihr Fall verhandelt wurde, begründetet der zuständige Verwaltungsrichter Jens Schade damit, dass das medizinische Fachwissen zur Beurteilung der Sache gefehlt habe.
Das unterstreicht ja nur die Tatsache, dass sich mit der ganzen Thematik nicht auseinandergesetzt wird. Auch die Ärzte, bei denen man die Untersuchungen im Rahmen der Einstellungsverfahren macht, sind darin nicht geschult und haben offenbar auch kein Interesse daran. Da besteht ganz offensichtlich noch sehr viel Nachholbedarf. Das betrifft nicht nur die Polizeiakademie, sondern beispielsweise auch die schwule Szene. Auch dort ist die Akzeptanz nicht so, wie sie sein sollte. Es wird zwar immer viel von Akzeptanz und Toleranz gesprochen, aber das Verständnis ist bei vielen einfach nicht da. Das hat mich dann auch dazu bewogen, meine Rechte in diesem Verfahren durchzusetzen.
Haben Sie denn mit Bekannten oder der Familie über den Fall gesprochen?
Nein, da nur die wenigsten in meinem Umfeld von der HIV – Infekton wissen und ich auch niemanden großartig mit in den Prozess einbeziehen wollte, habe ich das nicht weiter irgendwo thematisiert.
Ich stelle es mir sehr schwierig vor, über diese lange Zeit, die sich das Verfahren hingezogen hat, mit niemandem aus dem Freundes- und Familienkreis darüber sprechen zu können
Es ist auf jeden Fall schwierig, das alles mit sich selbst auszumachen. Aber weil ich nicht wusste, wie die Reaktionen sein würden, war dies für mich der einfachste Weg.
Waren Sie darauf vorbereitet, dass so viele Medien über den Prozessausgang berichten würden?
Mir war schon bewusst, dass der Prozess Aufmerksamkeit erregen würde. Mein Anwalt hatte mich darauf auch vorbereitet. Aber die Resonanz war dann doch weitaus größer, als erwartet. Es ist allerdings durchaus ein erfreulicher Effekt, weil das Thema dadurch auch weit verbreitet wurde.
Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig. Was bedeutet dies nun für Sie? Werden Sie das Bewerbungsverfahren in Niedersachsen fortsetzen?
Ursprünglich hatte ich das nicht vor, da ich nicht unter einem Arbeitgeber arbeiten wollte, bei dem ich mir meine Rechte erst einklagen muss. Nach ein paar Tagen Bedenkzeit und dem Rat von Herrn Jacob Hösl, habe ich mich dann aber doch dazu entschlossen. Einige Tage nach dem Urteil hatte sich dann auch die Polizeiakademie bei mir gemeldet und mich zum Einstellungstest eingeladen. Bleibt also abzuwarten, ob sie das nur gemacht haben, weil sie es müssen und dann einen anderen Grund finden, um mich abzulehnen – so wie es bereits in anderen Bundesländern geschehen ist. Oder ob ich dort nun eine realistische Chance auf eine Einstellung bekomme.
Und wenn man sie ablehnt, werden Sie dann das Berufsziel aufgeben?
Ganz gewiss nicht. Ich habe diesen Berufswunsch bereits seit vielen Jahren. Ich würde nicht aufgeben, sondern auf jeden Fall dranbleiben.
Drei Jahre sind seit der Ablehnung an der Polizeiakademie Niedersachsen vergangen. Das ist eine ziemlich lange Zeit und hat ganz sicherlich auch sehr viel Durchhaltevermögen erfordert.
Irgendwann lief das nur noch so nebenher, denn oft hat sich ja Monate lang einfach garnichts getan, und ich glaubte zwischenzeitlich gar nicht mehr daran, dass da noch etwas Positives bei herumkommen würde. Ich hoffe, dass dieser juristische Erfolg nicht nur mich in meinem ganz persönlichen Fall weiterbringt, sondern auch anderen, die in einer ähnlichen Situation sind. Das war anfangs auch der Hauptgrund für meine Klage und das gab mir auch den Antrieb, das bis zum Ende durchzuziehen. Wobei ich ehrlicherweise sagen muss, dass ich ja nur den geringsten Teil dazu beigetragen habe. Denn die eigentliche Arbeit hat mein Anwalt Jacob Hösl gemacht, und ohne die Unterstützung der Aidshilfe hätte ich das gar nicht durchführen können.
Was würde Sie nach dieser Erfahrung Menschen mit HIV raten, die sich für eine Ausbildung im Polizeidienst interessieren?
Sie sollten ihre Entscheidung, sich zu bewerben, nicht davon abhängig machen, ob sie wegen ihrer HIV-Infektion abgelehnt werden könnten. Sie haben das Recht auf ihrer Seite. Und notfalls sollten sie sich Unterstützung suchen, so wie ich es getan habe. Dafür gibt es ja glückerweise Einrichtungen wie die Deutsche Aidshilfe. Vor allem habe ich für mich gelernt, nicht alles einfach so hinzunehmen. Anfangs, bei meiner Bewerbung in einem anderen Bundesland, hatte man mir bei einem Telefonat nahegelegt, selbst von dieser Abstand zu nehmen. Die Argumente waren dieselben wie die der Polizeiakademie in Niedersachsen. Dass ich eine Gefahr für andere darstellten würde und so weiter. Dass ich natürlich versuchen könnte mich einzuklagen, aber dies zwecklos sei. Der Ausgang dieses Prozesses aber hat nun gezeigt, dass es wichtig und richtig war, sich das nicht mehr gefallen zu lassen.
* Name geändert