Auf der sonnigen Seite

Abbildung Broschüre "Auf der sonnigen Seite"

"Auf der sonnigen Seite“ – vor rund einem Jahr trafen sich 13 HIV-positive Frauen und deren Töchter. Initiiert von Ingrid Mumm, Landeskoordinatorin für „Aids, Kinder und Familie“ der Aidshilfe Niedersachsen, und geleitet von der Berliner Schriftstellerin Karen-Susan Fessel kreierten diese Frauen 20 einzigartige Geschichten rund um das Thema HIV, die sie gemeinsam im Heft „Auf der sonnigen Seite“ veröffentlichten. Zusammen ergeben diese kleinen Erzählungen eine fesselnde Lektüre, die nach einstündigem Lesen nach mehr verlangen. Wer vorher nicht weiß, wie sich Menschen – insbesondere Frauen - mit einer HIV-Infektionen fühlen, bekommt nach dem Lesen ein eindrucksvolles Bild unterschiedlicher Perspektiven. Die meisten Geschichten spielen in den späten 80ern und frühen 90ern und zeigen wie sich damals Frauen mit HIV umgegangen sind und welche Möglichkeiten die Medizin damals hatte. Themen wie Partnerschaft, Vertrauen, Depression, Tod aber auch Angst um eine mögliche HIV-Infektion der Kinder, besonders Angst vor Stigmatisierung und die damit verbundene Scham stehen im Vordergrund der meisten Geschichten. Brigitte berichtet von ihrem langen Weg über viele verschiedene Ärtz_innen und Falschdiagnosen hin zu ihrer HIV-Diagnose. Martina erzählt von ihren jahrelangen Lügengeschichten, weil sie sich für ihre HIV-Infektion schämt. Und Luna beschreibt ihren Weg vom Tod des Vaters, über ihre zurückgezogene Pubertät, hin zu dem Beistand ihrer HIV-positiven Mutter. Viele wahnsinnig starke Frauen erzählen wie es ihnen ganz persönlich, sowohl gesundheitlich als auch psychisch, mit ihrer HIV-Diagnose ging.

Portraitfoto Ingrid Mumm,  Landeskoordinatorin für "Aids, Kinder und Familie", Aidshilfe Niedersachsen Landesverband e.V.
© privat

Interviewfragen an Ingrid Mumm,  Landeskoordinatorin für "Aids, Kinder und Familie", Aidshilfe Niedersachsen Landesverband e.V.

Wie ist die Idee entstanden, einen Schreibworkshop für HIV-positive Frauen zu machen?

 Als ich gemerkt habe wie häufig abfällig über die Frauen mit HIV gesprochen wird, entstand die Idee etwas dagegen zu setzen. Vor allem deshalb, weil ich nicht einmal einer HIV-positiven Frau begegnet bin, die dem herrschenden Klischee entspricht.

Hatten die Frauen Bedenken bei der Veröffentlichung des Buches?

Die Frauen haben sich alle sehr gefreut, dass sie die Chance bekamen über ihre Erlebnisse zu schreiben – für sie war es eine von vielen Bewältigungsstrategien. Keine Frau musste ihre Texte veröffentlichen. Auch die, die nur für sich geschrieben haben genossen das Zusammensein und das Schreiben im geschützten Raum. Dank Karen-Susan Fessel ist es gelungen, einer sehr heterogenen Gruppe die Möglichkeit zu geben, durch das Schreiben eine Ausdrucksform für quälende Lebensprozesse zu finden.

Warum ist es wichtig, gerade über die HIV-Infektion bei Frauen zu reden?

In unserer Gesellschaft bekommen Frauen allgemein weniger Aufmerksamkeit. Das hat in der Medizin schwerwiegende Folgen, denn eine genderspezifische Behandlung gibt es fast nur im gynäkologischen Bereich. Besonders auffällig bei Frauen mit HIV ist, dass ihnen zu wenig zugetraut wird. Das hat zur Folge, dass in medizinischen Einrichtungen und bei Behörden diese Frauen selten gefragt werden was sie erwarten, sondern viel mehr zu hören bekommen was sie zu tun haben. Im Bereich HIV und Schwangerschaft wird das für mich besonders deutlich.

Wie glaubst du hat sich der Umgang mit der HIV-Infektion heutzutage verändert?

 Ich sehe, dass sich der Umgang mit HIV entspannt. Aber es macht einen Unterschied, ob ich eine heterosexuelle Frau bin oder ein homosexueller Mann. Die Männer sind besser miteinander vernetzt. Bei Frauen ist das anders, sie leben viel isolierter, haben oft auch die Verantwortung für die Kinder und verfügen in der Regel über weniger Einkommen als die Männer. Und immer die leidige Frage: „Wie hast du dich denn infiziert?“ Das allein ist schon diskriminierend. Im medizinischen Bereich scheint sich bezüglich der Frauen manches zu verbessern, aber viel langsamer als ich es mir für sie wünsche.

Wieso der Titel „Auf der sonnigen Seite“?

Auf den Titel haben sich die Autorinnen mit Karen-Susan geeinigt, ich wollte auf alle Fälle einen mit positiver Strahlkraft haben. Mit Betroffenheitsfloskeln kann ich wenig anfangen und ich wollte zeigen, dass die Ressourcen dieser Frauen so gewaltig sind, dass sie in meinen Augen Heldinnen sind. Es gibt die Zeit für Traurigkeit und Leiden in einem Prozess nach der Diagnose. Wenn die Frauen die Chance bekommen zu zeigen, dass HIV nur ein Teil von ihnen ist, können sie ihre Stärken wahrnehmen und anderen präsentieren.

Was möchtest du jeder HIV-positiven Frau mit auf den Weg geben?

Informiert euch über eure Rechte, fordert diese ein. Sucht euch jemand, der euch unterstützt, wenn ihr glaubt diese nicht einfordern zu können. Besteht darauf, dass man euch mit Respekt begegnet und mit euch spricht und nicht über euch.

Geschichten zu lesen auf: https://www.positive-network.de/akuf/wp-content/uploads/2020/05/AKuF_Bro_SonnigeSeite_screen.pdf

Autor: Joshua Vogel, Praktikant in der Deutschen Aidshilfe