Positiv schwanger? Kein Problem!
Die wichtigsten Fragen und Antworten zu HIV und Schwangerschaft
Frauen mit HIV können dank der antiretroviralen Therapie ein Leben führen wie andere Frauen auch. Dazu gehört für viele, Kinder zu bekommen. Doch können Mütter mit HIV auch unbesorgt stillen? Und gibt es Übertragungsrisiken bei der Entbindung? Welche Schwierigkeiten treten in der Versorgung auf? Wir haben den aktuellen medizinischen Stand und andere wichtige Informationen rund um die Schwangerschaft von Frauen mit HIV zusammengestellt. Dabei kamen unterschiedliche Expert_innen zu Wort: Emilia, eine HIV positive Mutter, die uns ihre Erfahrungen während der Schwangerschaft und Geburt geschildert hat, Patricia Barth, Beraterin von VHIVA KIDS aus Hamburg, Ingrid Mumm, Landeskoordinatorin für „Aids, Kinder und Familie“ der Aidshilfe Niedersachsen, und Dr. Annette Haberl vom HIVCENTER der Universitätsklinik Frankfurt am Main, die uns für ein langes Interview zur Verfügung stand.
Plötzlich positiv: Was bedeutet es, wenn ich erst während der Schwangerschaft meine HIV-Diagnose erhalte?
Um die HIV-Übertragung auf das Kind zu verhindern, sollte die Viruslast spätestens zum Zeitpunkt der Geburt unter der Nachweisgrenze liegen. Je früher eine geeignete Therapie begonnen wird, desto besser. Aus diesem Grund wird werdenden Müttern bereits in den ersten Wochen der Schwangerschaft im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung ein HIV-Test angeboten. Emilia, die ihre HIV-Diagnose im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung erhalten hat, wurde von der Nachricht völlig unvorbereitet getroffen. „Meine ganze Welt blieb stehen, und mir schossen unendlich viele Fragen durch den Kopf. Aber die allerwichtigsten waren: Was wird aus meinem Kind? Wird es sich auch infizieren? Wie soll ich ein Kind großziehen, wenn ich sowieso nur noch ein paar Jahre zu leben habe? Ich würde mein Kind niemals aufwachsen sehen!“
„Viele der HIV-positiven Schwangeren, die gerade von ihrer HIV-Infektion erfahren haben, befinden sich in einer akuten Krise“, sagt Patricia Barth von VHIVA KIDS aus Hamburg. „Sie sind nicht in der Lage, die Diagnose zu verarbeiten, und müssen sich immer wieder vergewissern, dass sie alles verstanden haben“, erklärt die Beraterin von VHIVA KIDS in Hamburg. Für Bezugspersonen sei es wichtig, sich Zeit zu nehmen und alle Fragen, auch zum wiederholten Male, geduldig zu beantworten. In einer solchen Situation, so die HIV-Medizinerin Dr. Annette Haberl vom HIVCENTER der Universitätsklinik Frankfurt am Main, benötigen die Frauen schnellstmöglich aktuelle Informationen zum Management von HIV in der Schwangerschaft. „Wir können ihnen deutlich machen, dass alles, was bis zur HIV-Diagnose ihr Plan fürs Leben war, weiterhin Bestand hat. Da wir jetzt die Diagnose kennen, können wir verhindern, dass es während der bestehenden Schwangerschaft zu einer Mutter-Kind-Übertragung kommt. Und natürlich sind auch weitere Kinder kein Problem. Schwangere mit HIV haben heute die Perspektive, irgendwann Großmütter zu werden.“
Werde ich mein Kind mit einem Kaiserschnitt zur Welt bringen müssen?
Um bei der Geburt eine Virusübertragung auf das Kind zu vermeiden, war es in der Tat lange Zeit Standard, dass HIV-positive Frauen mittels Kaiserschnitt entbunden haben. „Wenn allerdings die Viruslast unter der Nachweisgrenze liegt, können sich die werdenden Mütter heute auch für die vaginale Entbindung entscheiden“, so Dr. Annette Haberl. Das Übertragungsrisiko sei bei erfolgreicher medikamentöser Prophylaxe genauso niedrig wie bei einem Kaiserschnitt. Liegt die Viruslast hingegen über der Nachweisgrenze, ist ein Kaiserschnitt angebracht. Das Kind erhält dann in den ersten Wochen sicherheitshalber auch prophylaktisch HIV-Medikamente, um eine mögliche HIV-Infektion auf jeden Fall zu verhindern.
Kann ich mein Kind stillen?
Stillen ist die beste Form der Ernährung, die ein Kind in den ersten Lebensmonaten bekommen kann. Muttermilch ist nicht nur gut verdaulich, sie enthält auch Wirkstoffe, die gegen Krankheitserreger wirken, Entzündungen hemmen und das Immunsystem des Säuglings stärken. Stillen ist günstig und praktisch – weil immer möglich. „Breast is best“ („Die Brust ist am besten“) gilt aber nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Mütter: Frauen, die früh Kinder haben und stillen, senken ihr Risiko für eine Brustkrebserkrankung. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wie auch die Nationale Stillkommission empfehlen daher, Säuglinge in den ersten sechs Monaten ausschließlich zu stillen. Und da so vieles für das Stillen spricht, ist es verständlich, dass auch Mütter mit HIV ihr Kind stillen möchten. Wenn bei der HIV-positiven Mutter die Behandlung gut funktioniert, ist das auch möglich. Wichtig ist eine gute ärztliche Begleitung. Vor und während der Stillphase werden Kontrollen der Viruslast durchgeführt – sie muss sicher unter der Nachweisgrenze sein. Dann stehen den vielen Vorteilen ein sehr geringes, kaum mehr bezifferbares Risiko einer HIV-Übertragung sowie die kindliche Aufnahme von HIV-Medikamenten über die Muttermilch gegenüber. Die Vor- und Nachteile sollten mit dem behandelnden HIV-Arzt oder der HIV-Ärztin besprochen werden. Die Entscheidung für oder gegen das Stillen liegt aber letztlich immer bei der Mutter beziehungsweise den Eltern des Kindes. „Wir überarbeiten gerade die Deutsch-Österreichischen Leitlinien und werden dort dem Thema Stillen sicher mehr Raum widmen und auch konkreter werden: für wen das Stillen eine Option sein kann und wie das Monitoring aussehen sollte“, erklärt die HIV-Expertin Dr. Annette Haberl.
Beratung, Begleitung, Unterstützung: Worauf kommt es an?
Schwangerschaft und Geburt sind für jede Frau besondere Erlebnisse, die aber körperlich wie emotional herausfordernd sind. Daher ist es von großer Bedeutung, dass zu den unterstützenden Menschen in diesem Prozess wie Frauenärzt_innen oder Geburtshelfer_innen ein enges Vertrauensverhältnis besteht. Denn selbstverständlich hat frau den Wunsch, offen über die besonderen Probleme und Ängste sprechen und auch spezielle medizinische Fragen stellen zu können. Es empfiehlt sich daher, frühzeitig beispielsweise bei Aidshilfen oder Selbsthilfegruppen von Frauen mit HIV nach Empfehlungen beziehungsweise Unterstützung bei der Suche nach einer geeigneten gynäkologischen Praxis oder Geburtshilfe zu fragen.
„Jede junge Mutter hat das Recht auf eine Betreuung nach der Geburt ihres Kindes. Die Hebamme, die schon die Schwangerschaft begleitet hat, führt auch die Nachbetreuung fort. In sozioökonomisch schwierigen Fällen kann diese zeitlich ausgeweitet werden. Dieses Recht hat jede Frau, aber einigen fehlt die Information“, sagt Ingrid Mumm, Landeskoordinatorin für „Aids, Kinder und Familie“ der Aidshilfe Niedersachsen. Es hat sich zudem bewährt, wenn die behandelnden HIV- und Frauenärzt_innen sich möglichst früh miteinander vernetzen, um so gewissermaßen arbeitsteilig eine perfekte Versorgung der Frauen zu gewährleisten. Abseits der Metropolen ist es möglicherweise schwierig, eine Geburtsklinik zu finden, bei der sich werdende Mütter mit HIV sicher sein können, adäquat betreut zu werden. „Um die bestmögliche Versorgung für HIV-positive Frauen anbieten zu können, müssen Aidshilfen deshalb immer wieder auch die Auseinandersetzung mit Mediziner_innen suchen“, so Mumm. „Beratungsstellen sollten bei schwangeren Ratsuchenden die Chance nutzen, um den Kontakt zu den Kliniken aufzubauen, aufzuklären und zum Beispiel Schulungen anbieten.“
Vom Umgang mit sensiblen Daten: Muss meine HIV-Diagnose im Mutterpass vermerkt werden?
Ein klares Nein. Ein Eintrag des HIV-Status in den Mutterpass ist nicht gestattet und verstößt gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Sowohl die Deutsch-Österreichische Leitlinie zur HIV-Therapie in der Schwangerschaft als auch die Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses machen deutlich, dass nur die Durchführung eines HIV-Tests und nicht das Ergebnis im Mutterpass eingetragen werden darf. Dennoch geschieht das bisweilen, meist aus Unwissenheit der Gynäkolog_innen. In einem solchen Fall kann ein neuer Mutterpass verlangt werden. Auch im Untersuchungsheft (dem U-Heft) hat die HIV-Diagnose der Mutter nichts verloren, ebenso wenig die HIV-relevanten Untersuchungen des Kindes. Alle notwendigen Daten zur gesundheitlichen Situation der Mutter werden im U-Heft per Multiple-Choice-Verfahren abgefragt. Es gibt weder eine rechtliche Grundlage noch eine medizinische Notwendigkeit, zusätzliche Informationen wie etwa die HIV-Diagnose der Mutter hinzuzufügen. Aus gutem Grund, denn wenn soziale Leistungen beantragt werden, müssen meist das U-Heft wie auch der Mutterpass vorgelegt werden – und es ist unerlässlich, dass der Datenschutz und die Persönlichkeitsrechte von Mutter und Kind gewahrt werden, auch, um ein Zwangsouting zu verhindern.Übrigens kann keine Institution, also zum Beispiel weder Kita noch Schule noch Jugendamt, verlangen, das U-Heft in Gänze einsehen zu dürfen. Die aus dem U-Heft ausklappbare Teilnahmekarte ist als Nachweis der Vorsorge-Untersuchungen ausreichend. Die Mutter beziehungsweise die Eltern des Kindes haben das Recht zu entscheiden, ob sie die HIV-Exposition des Kindes mitteilen wollen oder nicht. Wenn die entsprechenden Informationen an eine Praxis oder eine Klinik übermittelt werden sollen, können sie in einem separaten Arztbrief dokumentiert werden und müssen sich nicht im U-Heft wiederfinden, welches das Kind noch viele Jahre begleiten wird. „Leider kann man das Ende HIV-bedingter Diskriminierung nicht einfach auf einem Rezept verordnen“, bedauert Dr. Annette Haberl. Doch sie ist optimistisch: „Ich hoffe, dass – gerade auch im Zusammenspiel mit den medizinischen Fortschritten – sich die Haltungen positiv verändern werden und dadurch ein Stück mehr Leichtigkeit gewonnen wird.“ Den Frauen, sagt sie, wäre es jedenfalls zu wünschen.
Wo kann ich mich weitergehend zum Thema HIV und Schwangerschaft informieren?
- Auf dem Portal „Frauen &HIV“ der Deutschen Aidshilfe gibt es Informationen zu den Themen Kinder und Schwangerschaft, HIV-Behandlung, Sexualität, Lebenswelten und Forschung: https://www.frauenundhiv.info/.
- In der Broschüre „Positiv schwanger“ der Deutschen Aidshilfe sind die wichtigsten Informationen für werdende Mütter zusammengefasst, und zwar auf Deutsch und in mehreren anderen Sprachen.
- Wer sich intensiver mit den medizinischen Standards rund um Vorsorgeuntersuchung, HIV-Therapie bei Schwangeren, Entbindung und Nachsorge beschäftigen möchte, findet entsprechende Informationen in der „Deutsch-Österreichischen Leitlinie zur HIV-Therapie in der Schwangerschaft und bei HIV-exponierten Neugeborenen“ aus dem Jahr 2017. Das Kapitel „Stillen“ ist allerdings nicht mehr ganz auf dem neuesten Stand und wird derzeit überarbeitet.
- Wie andere Frauen mit HIV die Schwangerschaft und Geburt erlebt haben, welche Erfahrungen sie mit Diskriminierung gemacht haben und wie sich die Familiengründung auf ihre Partnerschaft ausgewirkt hat, zeigt sehr eindrucksvoll der knapp einstündige Dokumentarfilm „Positiv schwanger“: https://positiv-schwanger.de/.
Welche weiteren Beratungsangebote und Selbsthilfeorganisationen gibt es?
Beratung und Selbsthilfegruppen für Frauen mit HIV gibt es auch in Aidshilfen vor Ort:
Kontaktstelle HIV-bezogene Diskriminierung der Deutschen Aidshilfe:
www.hiv-diskriminierung.de
Kontakt: gegendiskriminierung@dah.aidshilfe.de
HIV-positive Schwangere und Familien mit HIV in Hamburg und Umgebung finden kompetente Ansprechpersonen in der Beratungsstelle VHIVA KIDS:
https://www.ajs-hamburg.de/vhiva-kids-familienleben-mit-hiv.html
Aids + Kinder – Beratungsstelle für HIV-positive Familien, Angebote für positive Kinder und Jugendliche aus Baden-Württemberg:
Netzwerk „Aids, Kinder und Familie“ Niedersachsen, Beratung für Familien mit HIV:
www.positive-network.de
Aidshilfe NRW – Landeskoordination Aids, Kinder und Jugendliche aus NRW/
Beratungs- und Unterstützungsangebot für Kinder, Jugendliche mit HIV und ihre Familien:
www.ahnrw.de/aidshilfe-nrw/front_content.php?idcat=1968
frau + mama – Selbsthilfegruppe für Frauen und Mütter mit HIV in Berlin
Kontakt: frauplusmama@posteo.org
Wo finde ich finanzielle Unterstützung?
Die Michael Stich Stiftung unterstützt HIV-positive Kinder und deren Familien sowie HIV-exponierte Kinder bis zum Erreichen des 6. Lebensmonats. Anträge können in Kooperation mit einer Beratungsstelle, beispielsweise der örtlichen Aidshilfe, gestellt werden.
www.michael-stich-stiftung.de
Die Bundesstiftung Mutter und Kind hilft Frauen in Notlagen durch finanzielle Unterstützung:
www.bundesstiftung-mutter-und-kind.de.
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Autor: Axel Schock