„Das kann nur ein Anfang sein“

bunte rote Schleifen, darunter der Schriftzug "positiv arbeiten"

Als erste Gewerkschaftsorganisation überhaupt hat der GEW-Landesverband Nordrhein-Westfalen die Deklaration „Für einen diskriminierungsfreien Umgang mit HIV-positiven Menschen im Arbeitsleben“ unterzeichnet. Sebastian Krebs, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft NRW, erzählt im Interview über die Reaktionen und die Verantwortung der Arbeitnehmer_innenvertretungen für Beschäftigte mit HIV.

Gab es Hürden in der GEW zu überwinden?

Sebastian Krebs: Ein klares und eindeutiges Nein. Es gab überhaupt keine Einwände oder Bedenken, dass wir uns daran beteiligen.

Wie waren die Reaktionen intern bzw. extern?

Wir haben die Unterzeichnung auf unserer Homepage vermeldet und dort auch die Deklaration veröffentlicht. Ich war sehr gespannt auf die Reaktionen. Ich hatte damit gerechnet, dass es Widerstände geben oder es zu Diskussionen kommen würde. Diese hatte ich mir sogar gewünscht, denn manchmal sind Auseinandersetzung besser, als ein diffuses Schweigen. Das genau aber nehme ich wahr und das birgt die Gefahr, dass daraus sehr schnell auch wieder Diskriminierung entstehen kann.

Es gab ­– abgesehen von einzelnen zustimmenden Äußerungen am Rande von Gesprächen – weder positive noch negative Reaktionen. Immerhin wurde durch die Unterzeichnung das Thema „HIV-positiv im Arbeitsleben“ in der GEW-NRW-Gewerkschaftszeitung „lautstark“ aufgegriffen.

Das klingt dennoch etwas enttäuscht.

Die Unterzeichnung der Deklaration war ein guter Start in die Diskussion. Es ist aber klar: Dieser Akt darf nicht als Einzelaktion für sich stehenbleiben. Das kann nur ein Anfang sein.

Inwieweit spielte HIV bislang eine Rolle in Ihrer Arbeit?

Ich betreute innerhalb der GEW auch politisch die Gruppe LSBTI  und ich weiß, dass dort auch Menschen mitarbeiten, die HIV-positiv sind. Einige Mitglieder haben auch schon von Diskriminierungen in den Schulen berichtet, in denen sie unterrichten. Dabei geht es aber eigentlich immer um negative Reaktionen durch Kollegen und Kolleginnen, die Schulleitung oder auch durch Schülerschaft gegenüber schwulen Lehrern. Es geht also um Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und nicht aufgrund von HIV.

Was womöglich ja auch daran liegt, dass diese Lehrkräfte ihre HIV-Infektion nicht öffentlich machen.

Wir bekommen oft mit, dass Kollegen Angst vor den Reaktionen haben, sollte bekannt werden, dass sie HIV-positiv sind. Das gilt vor allem für die jüngeren unter ihnen, die noch nicht verbeamtet sind. Wir sind froh, wenn sich diese Kolleginnen und Kollegen an uns wenden, denn eine HIV-Infektion stellt keinerlei Hindernis für eine Verbeamtung dar. Dazu gibt es ja den entsprechenden Runderlass des Gesundheitsministeriums.

Demnach stellt eine HIV-Infektion keinen Hinderungs­grund für die Verbeamtung dar, auch wenn „die Bewerberin oder der Bewerber ihre bzw. seine HIV-Infektion von sich aus bekannt gibt oder diese aus anderen Quellen bekannt wird.“

Bei Problemen können wir daher auch Hilfestellung geben – bis hin zum Rechtsschutz, sollte es notwendig sein. Bislang war das aber noch nicht der Fall. Dass sich Kollegen an uns wenden, weil sie aufgrund ihrer HIV-Infektion Rat und Hilfe benötigen, kommt insgesamt äußert selten vor.

Was müsste verbessert werden, damit Gewerkschaften und Betriebsräte HIV-positive Beschäftigte besser vor Diskriminierung schützen bzw. den offenen Umgang mit ihrer chronischen Erkrankung unterstützen können?

Ich wünsche mir ein Antidiskriminierungsgesetz, das auch im schulischen Bereich greift, um unsere Positionen auch gesetzlich gestützt darlegen zu können. Es gibt zwar an allen Schulen, wie auch in den Betrieben, Gleichstellungsbeauftragte, die sich also um die Gleichbehandlung von Frauen kümmern. Diese fühlen sich aber nicht automatisch auch für andere Formen der Diskriminierung zuständig, sei es wegen der sexuellen Identität, der Herkunft oder einer HIV-Infektion. Zumindest sollte man das Problembewusstsein dafür schaffen. Denn wenn es für ein Problem keinen Ansprechpartner oder Ansprechpartnerin gibt, ist das Problem selbst auch nicht sichtbar. Auch wenn es nur Einzelfälle betrifft: Solange Menschen HIV-bezogene Diskriminierung erleben und sie eine Form der Selbstdiskriminierung betreiben, weil sie darüber nicht offen sprechen können, müssen wir daran arbeiten.

Bei HIV können wir heute erfreulicherweise von einer chronischen Erkrankung sprechen, die beispielsweise in einer Reihe mit Diabetes gestellt werden kann. Ich behaupte einfach mal: Lehrer_innen trauen sich gegenüber den Kolleg_innen und ihren Schüler_innen eher, von ihrer Diabetes-Erkrankung zu erzählen als von ihrer HIV-Infektion.

Das ist genau die Situation. Bei HIV müssen wir leider immer noch mit Diskriminierung und sogar mit Stigmatisierung rechnen.

Was können Gewerkschaften da tun, um auf Bundesebene dezidiert ihre HIV-positiven Mitglieder zu unterstützen und in deren Arbeitswelt hineinzuwirken?

Da sehe ich gewisse Schwierigkeiten. Selbst für den Plan, einen landesweiten Zusammenschluss jener LSBTI-Arbeitsgemeinschaften innerhalb der DGB-Gewerkschaften zu gründen, gibt es keine vorbehaltslose Unterstützung. Bei HIV wird man damit noch spitzeren Fingern rangehen.

Sie befürchten also richtiggehend Vorbehalte beim Thema HIV bei den Gewerkschaften auf Bundesebene?

Wir haben lernen müssen, dass es da einfach kein Interesse gibt. Bereits die Diskriminierung von LSBTI wird auf Landesebene von vielen als zu marginal betrachtet. Damit wird es nicht primär als gewerkschaftliches, sondern als individuelles Thema begriffen.

Es bestehen also Berührungsängste.

Ich denke, es ist eher die Wahrnehmung, dass HIV kein Problem mehr darstellt und sich die Situation für die Betroffenen normalisiert hat. Das aber ist trügerisch. Gleiches gilt für LSBTI. Ich finde, dass wir da gewerkschaftsintern noch vorangehen müssen. Und ich würde mir wünschen, dass so große Gewerkschaften wie ver.di noch einen Schritt nach vorne machen und zeigen, dass ihnen diese Themen wichtig sind. Die Erfahrung, die ich gemacht habe: Das braucht Zeit, auch wenn ich mir etwas anderes wünschte.

 

Mehr Informationen zur Arbeitgeber_innendeklaration #positivarbeiten gibt es hier: https://www.aidshilfe.de/positivarbeiten

Wie sieht es in sonst für Menschen mit HIV in der Arbeitswelt aus? Hier gibt es einen Überblick.

Dieser Artikel ist Teil unserer Aktion zum 1. Mai 2020 „Mit HIV arbeiten? Na klar!“ – mehr Infos dazu hier