Älter werden unterm Regenbogen

Die Fachstelle „Altern unterm Regenbogen“ in Düsseldorf ist eine Interessenvertretung von Menschen ab 55 Jahren, die sich als lesbisch, schwul, bi, trans*- und inter*-Personen identifizieren. René Kirchhoff von der Aidshilfe Düsseldorf e.V. spricht über die Sorgen von Klient:innen, Angst vor Diskriminierung, Einsamkeit im Alter und die Sensibilisierung von Einrichtungen.
Was bedeutet das Bild „Altern unterm Regenbogen“ für dich?
Erst einmal bedeutet es für mich „anderes Altern“. Die Lebensbiografien unserer Klientel liegen außerhalb der Norm, weil sie aufgrund von Diskriminierung, Verfolgung durch Paragraph 175, der homosexuelle Handlungen unter Männern unter Strafe stellte und in seiner liberalisierten Form bis 1994 galt, ganz andere Erfahrungen als Heterosexuelle gemacht haben. Und die kommen jetzt im Alter zum Tragen. Denn einige haben aufgrund unterbrochener Erwerbsbiographien wenig Rente oder wurden von der Familie verstoßen und sehen nichts vom Erbe. Viele von denen, die wir betreuen, sind einfach in einer prekären Situation. Das muss man im Blick haben, um eine adäquate Betreuung, Beratung oder Begleitung anbieten zu können.
Die Fachstelle „Altern unterm Regenbogen“ in Düsseldorf gibt es seit 2019. Mit welchen Themen und Sorgen kommen Menschen zu euch?
Ganz wichtig ist Vernetzung, weil Einsamkeit für ganz viele ein Thema ist – gerade für die älteren Jungs mit HIV. Die sind in der Aids-Krise einmal die Woche auf eine Beerdigung gegangen, das gesamte soziale Umfeld ist damals weggestorben. Manche von ihnen sind 30, 40 Jahre als einsamer Wolf durch die Gegend gezogen und kommen jetzt an einen Punkt, an dem sie Unterstützung brauchen. Das muss man erst mal zulassen. Für einige ist das eine Riesenüberwindung. Viele kommen relativ spät, weil sie niemanden in die Wohnung lassen möchten.
Sie haben aufgrund biografischer Erfahrungen Sorge vor Diskriminierung. Gerade, wenn sie in einen pflegerischen Kontext kommen, sind sie ja noch mal vulnerabler als vorher. Sie sind komplett ausgeliefert. Ich habe einen Klienten, der hat immer Tabletten bei der Hand. Er sagt: Wenn ich falle und es geht nicht mehr, dann nehme ich die und dann ist es vorbei. Die versuchen teilweise, mit Händen und Füßen jegliche Hilfe abzuwehren und zu verhindern, jemand in ihre Wohnung zu lassen. Die könnten ja merken: ich bin schwul – und mich in meiner Wohnung dann angehen. Teilweise spielen da auch Ängste eine Rolle, dass Pfleger*innen Vorurteile gegen Homosexuelle haben könnten.
Was könnt ihr in solchen Fällen tun?
Unsere Aufgabe ist zum einen, die Klient:innen zu überzeugen, Hilfe anzunehmen und sie mit Anbietern in Kontakt zu bringen. Wir fungieren als Scharnier zwischen der Community und den Hilfsangeboten. Durch unsere Beziehungsarbeit mit den Klient:innen können wir einen Vertrauensvorschuss bekommen. Wir können ihnen sagen: „Hör mal, die Einrichtung ist super, wir sind mit denen in Kontakt, da kannst du dich vertrauensvoll hinwenden.“
Andererseits gehen wir in die Einrichtungen und versuchen dort auf die speziellen Bedürfnisse der Community aufmerksam zu machen. Wir waren in Einrichtungen und Pflegeschulen, um Mitarbeitende und Pflegeschüler:innen zu sensibilisieren und zu informieren: Wie gehe ich mit dieser Klientel um, wie kann ich sie unterstützen und wo sind die Fallstricke?
Wir machen auch ganz viel im Freizeitbereich für die queere, ältere Community. Es gibt Treffs mit Kaffee und Kuchen im Seniorenzentrum, Sommerfeste und immer mal Veranstaltungen um den CSD. Wir organisieren auch Infoveranstaltungen wie „Älter werden mit HIV“ über die „medizinische Rundreise“ der Deutschen Aidshilfe oder zu Themen wie Vorsorgevollmachten und Testamenten. Wir versuchen das anzubieten, was gebraucht wird.
Wie seid ihr organisiert?
Angefangen hat es 2019 mit einem gemeinsamen Antrag der AWO Düsseldorf, der Frauenberatungsstelle Düsseldorf und der Aidshilfe Düsseldorf, die jeweils mit einer halben Stelle im Projekt vertreten sind. Ich bin 2021 dazu gestoßen. Viele waren anfangs nicht wirklich überzeugt, das in so einer Trägergemeinschaft zu machen. Aber ich muss sagen, das war Gold wert, weil wir unterschiedliche Expertisen mitbrachten: die AWO mit ihrer Senior:innenarbeit, die Aidshilfe mit ihrer HIV-Beratung und die Frauenberatungsstelle unter anderem mit ihrer Beratung für Gewaltopfer. So hatten wir direkten Zugang zu verschiedenen Gruppen und konnten von allen Seiten auf unsere Klientel zugehen. Finanziert werden wir von der Stadt Düsseldorf. Das Ursprungsprojekt ist Ende 2024 ausgelaufen und jetzt werden wir wahrscheinlich erst mal unter neuem Namen und mit etwas anderer Ausrichtung für ein Jahr weiter bewilligt. Ich hoffe, dass wir irgendwann in die Regelförderung aufgenommen werden, damit nicht so viel unserer Arbeitskraft dafür draufgeht, Anträge zu schreiben und andere davon überzeugen, wie wichtig das ist.
Auch andere Projekte kamen auf uns zu, weil sie so etwas machen wollten wie wir – Hamburg und Nürnberg zum Beispiel. Deutschlandweit werden wir als Leuchtturmprojekt wahrgenommen. Das ist super.
Hast du das Gefühl, dass sich generell im Pflegebereich etwas in Sachen Sensibilität gegenüber queeren Personen etwas tut?
Ich denke schon, dass das ein Thema ist, das gerade viel Aufmerksamkeit kriegt – auch von den Anbietern. Es wird halt auch immer konkreter. Wir sind noch nicht mal bei der Baby-Boomer-Generation angekommen, Die lassen sich ihre Freiheiten nicht nehmen. Diese Generation wird nicht in einer Einrichtung wieder versteckt „in the closet“ leben. Das merken mittlerweile auch die Einrichtungen. Das Bewusstsein dafür, dass etwas getan werden muss, steigt – zumal wenn es dann noch Vorfälle von Diskriminierung unter den Bewohner:innen gibt. Die meisten Anbieter, die noch überhaupt keine Berührung mit dem Thema hatten, sind davon erstmal überfordert.
Viele Pflegeeinrichtungen haben lange Wartelisten. Gibt es für sie überhaupt einen Anreiz, Zeit und Kraft zu investieren, um für eine bestimmte Klientel attraktiver werden?
Viele haben noch nicht auf dem Schirm, dass es ein Alleinstellungsmerkmal ist, wenn man aktiv wird. Die Caritas Düsseldorf hat beispielsweise eine Demenzgruppe für schwule Männer aufgezogen. Sowas gab es noch nicht. Deshalb sind sie auch für einen europaweiten Preis nominiert worden. Bei den innerstädtischen Trägern gibt es auch eine gewisse Konkurrenz: Geht einer in eine bestimmte Richtung, wollen sich auch die anderen in diesem Bereich positionieren. Die Diakonie hat jetzt bei uns beispielsweise eine queere Tagespflege eingerichtet.
Der Anreiz besteht einerseits darin, verschiedene Klient:innen-Gruppen anzusprechen. Und auch den Willen zur Innovation nach außen zu kommunizieren – nach dem Motto: Wir machen auch fortschrittliche Projekte.
Meiner Erfahrung nach hängt so etwas an den Leitungen. Die Leute, die in dem Feld arbeiten, sind Feuer und Flamme für das Thema. Die Einrichtungen werben dadurch auch Mitarbeitende, die Personalnot im sozialen Bereich ist ja groß. Wir wissen, dass die Pflegeeinrichtungen, die sich zum Beispiel für das Qualitätssiegel „Lebensort Vielfalt“ beworben haben, keine Probleme haben, Stellen zu besetzen. Gerade queere Pfleger:innen rennen denen die Bude ein.
Es gibt zum Beispiel auch viele Projekte zum Thema Pflege im migrantischen Kontext. Menschen mit Migrationsgeschichte möchten sich halt auch in der Einrichtung und in der Lebensweise, die dort gelebt wird, repräsentiert sehen. Das ist, glaube ich, ein Thema in der Pflege, das in den letzten Jahren hochgekommen ist. Und daraufhin wurde auch die Zielgruppe der Queers entdeckt.
Das Interview führte Inga Dreyer